Guten Morgen.
Es ist einer der letzten
schönen Herbsttage, bevor es winterlich wird. Und unser Vierzehnjähriger meint:
„Ich hätte mal wieder Lust, Kanu zu fahren.“ Schöne Idee. Also fahren wir an
den See im Nachbarort. Am Steg liegt da ein dunkelgrünes Kanu. – „Ja, könnt ihr
haben“, sagt der Verleiher. Und ein paar Minuten später haben zwei meiner Söhne
und ich die Schwimmwesten um und die Paddel in der Hand. Wir setzen uns in das
Boot. Ein Balanceakt, aber es geht. Schon wenig später gleiten wir drei
Halbstarken durch den Herbstsee. Zwei Paddel links, ein Paddel rechts. Voller
Schub voraus.
Nach wenigen Minuten sind wir
mitten auf dem See. Und zieh und zieh und … plötzlich geht alles sehr schnell.
Das Boot ist im Wasser und das Wasser ist im Boot. Von einem Augenblick auf den
nächsten tauchen wir unter. Alle drei im 10 Grad kalten Herbstsee. Wir schauen
uns an. Alle drei noch da. Aber was jetzt. Das Land sieht sehr weit weg aus.
Das Kanu ist voller Wasser
und wir haben keine Ahnung, ob es gleich ganz untergehen wird. Wir wissen nicht,
ob wir schwimmen können mit den vollgesogenen Klamotten. Keine Ahnung, ob
irgendjemand unser Kentern gesehen hat. Es ist ein unwirklicher Moment, so
ausgeliefert im kalten Wasser. – Stoßgebet. Die Jungs im Blick. Der
abenteuerliche findet das irgendwie noch lustig. Der Jüngere schon nicht mehr.
Ich versuche ruhig zu bleiben.
Da erreicht uns ein
Elektroboot: „Brauchen sie Hilfe?“ „Ja! Bitte.“ – Ich denke, wenn sie den
Jüngeren mitnehmen können, kann ich’s mit dem Großen an Land schaffen. An Land
sehen wir dann aber Hektik. Den Vermieter. Ein Motorboot. Zwei, drei Minuten
später ist er bei uns und zieht uns aus dem Wasser.
An Land gibt’s Decken und
heißen Kakao. Mama, die am Ufer saß, will die ganze Geschichte hören. Wir
stehen da, wie begossene Pudel und die Pfütze zu unseren Füßen wächst. Und so
viel gibt’s gar nicht zu erzählen. In einem Moment saßen wir Boot. Im nächsten
im See. Zwanzig Minuten später sind wir zu Hause. Heiße Dusche und hinterher heiße
Suppe. Allen geht’s gut. Allein mein Handy hat das Bad im Herbstsee nicht
überstanden.
Mein Kopf dreht sich am
Abend. Als die Kinder schlafen und das große Was-Wäre-Wenn kommt, denke ich: Danke,
dass alles so gut gegangen ist. Dass die Jungs sicher und warm in ihren Betten
schlafen. Nicht selbstverständlich.
In unserem Dorf habe ich
schon Menschen getroffen, die auf maroden Booten das Meer überquert haben. Und
ich weiß: In den letzten Jahren ist das Mittelmeer zu einem Grab für Zehntausende
geworden. Boote sind gekentert. Plötzlich sind Menschen im kalten Wasser, sie
und ihre Kinder. Und niemand ist da, der fragt: „Brauchen Sie Hilfe?“. Kein
Motorboot. Keine Decke. Kein heißer Kakao.
Wir hatten vielleicht ein
paar dramatische Minuten. Aber unser Moment im Wasser, das ist alles nicht zu
vergleichen mit den Mittelmeerdramen um Leben und Tod. Da suchen Menschen kein Freizeitvergnügen,
sie suchen ein würdiges Leben für sich und ihre Familie. Dennoch: Für einen
Moment fühle ich mich ihnen besonders verbunden. Für einen Moment kann ich mir
entfernt vorstellen, wie es wäre. Verlassen im Wasser. Mit meinen Kindern. – Am
selben Abend will ich mein Verbundensein mit einer Spende bestärken. Mein Gebet
an diesem Abend sind ein paar Klicks im Internet. Ich surfe zur Seenotrettung.
Ich bete und bitte für sie. Ich danke für diesen Tag.
Ihr Patrick Depuhl, Alpen.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/57167_WDR3520220125Depuhl.mp3