Guten Morgen.
Ein Kind weint. Der kleine Junge steht im Supermarkt und
scheint seine Eltern verloren zu haben. Eine junge Frau geht in die Hocke und
spricht ihn an. Der Kleine beruhigt sich. Und da ist ja auch schon die Mutter.
Diese Geste der jungen Frau, sich hinzuhocken, um dem Kind in die Augen schauen
können, diese Geste nennt der Schriftsteller Ulrich Schaffer eine „heilige
Handlung“. In seinem Gedicht „Kleinigkeiten“ (1) erzählt er davon. Mir fällt
eine andere „heilige Handlung“ ein: Ich bin unterwegs mit Freunden. Wandern. Wir
rasten. Einer schält einen Apfel, schneidet ihn in Stücke und reicht uns
nacheinander ein Stückchen. Sich selbst bedenkt er zum Schluss. In dem Moment
als das Apfelstückchen von seiner Hand in unsere Hand wandert, geht ein
Leuchten geht über unsere Gesichter. So fürsorglich ist der Freund. Das tut
einfach gut. Ulrich Schaffer beschreibt eine ganz ähnliche Szene in seinem
Gedicht über die „Kleinigkeiten“ und schreibt: „Eure Hände berührten
sich und es war als käme ein Engel und bewegte die Luft über euch mit seinen
Flügeln.“ Der Dichter erkennt, dass hier mehr passiert, als dass ich ein Stückchen
Apfel bekomme. Liebe, Freundschaft, Zuneigung, Wohlwollen, Fürsorge… diese
großen Wörter bekommen ein Gesicht in den kleinen Gesten. Diese kleinen Gesten
haben eine große Kraft. Schauen Sie sich doch mal glückliche Paare an – und da
meine ich nicht nur die frisch verliebten. Wie da eine Hand über den Unterarm
streicht oder sich kurz auf die Schulter legt. Mit vielen kleinen Gesten ohne
Worte können Liebende ihre Zuneigung immer wieder bekräftigen und zeigen.
Liebe kann sich auch da zeigen, wo wir einander nicht
so nah stehen oder auch zwischen völlig Fremden: Wenn jemand zum Beispiel mitten
im Trubel fragt: „Wie geht es Dir?“ Und für einen Moment wirklich zuhört. Um
uns für diese Minuten ein stiller Raum, den der Trubel nicht durchdringen kann.
Ein „heiliger Raum“.
Oder wenn sich ein Schüler rasch in die Türschranke
von der U-Bahn stellt, als ich mit meinen Einkaufstaschen über den Bahnsteig
gerannt komme und die Bahn noch erwischen will. Ein kurzes „DANKE!“ von mir.
Ein Lächeln vom Schüler. Eine „heilige Handlung, ein heiliger Raum“ – für einen
kurzen Moment blitzt für mich etwas von Gott auf.
Aufmerksam für diese Kleinigkeiten in meinem Leben
will ich sein. Sie sind Gottes Geschenke an mich. Kurze Gottesdienste im
Alltag.
Aufmerksam sein für das Kleine, durch das Gott zu mir
spricht. Das kann auch so aussehen: „Einmal versprachst du dich und merktest,
dass der Versprecher das Eigentliche war, was du sagen wolltest. Du wurdest
ganz still angesichts der Weisheit, die sich dadurch ausdrückte.“ Schreibt Ulrich
Schaffer. Die Weisheit ist in der Bibel ein Ausdruck für Gott. Mit Gott rechnen
– mitten im Alltag. Seine Größe blitzt auf in scheinbaren Kleinigkeiten.
Einen schönen Tag wünscht Ihnen, Petra Schulze, Rundfunkpfarrerin
in Düsseldorf.
Quelle:
(1) Ulrich Schaffer, „Kleinigkeiten“, aus dem Buch:
VOM GLÜCK, DICH ZU KENNEN, Briefe einer Freundschaft, Hg. v. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau; 1. Edition (30. Mai
2018).
https://www.facebook.com/profile.php?id=100044312745416 veröffentlicht am 25.01.2023, 07:12 Uhr. (zuletzt abgerufen am
27.01.2023)
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