Guten Morgen.
Vor kurzem sind wir mitten in
der Nacht aufgewacht. Gleichzeitig. Alle. Meine Frau, unsere drei Jungs und
ich. Es war wie ein Traum, aber auch nicht. Irgendetwas war uns zu Ohren
gekommen, aber wir konnten es nicht genau orten. Es war ein Geräusch, wie ein
Krachen, ein Klirren, ein Knall. Wir standen auf und stöberten durchs Haus. Als
wir in die Küche kamen, konnten wir unseren Augen kaum trauen. Der ganze Boden
war übersät mit Scherben und Splittern in einer großen roten Pfütze. Es
brauchte einen kleinen Moment, um die nachtbenebelten Gedanken zu sortieren…
Was war das? Traum oder Trauma?
Wir schauten uns an – wir
hatten das Gleiche gesehen. Ein Regal hatte sich von der Wand gelöst und ein
zweites mitabgerissen. Darin: Tassen und Tonteller. Teils Hochzeitsgeschenke
von vor über 20 Jahren, eine knapp so alte Whiskyflasche zum 50ten und Rotwein
vom letzten Besuch. Jetzt: Ein Haufen Scherben in einer Lache aus Wein. Toaster
darunter zerdeppert. Wir perplex mitten in der Nacht. Ohne viele Worte begannen
wir das Tohuwabohu zu beseitigen. Ein paar der dicken Flaschen hatten überlebt,
aber alles in allem waren die Erinnerungsstücke von einst ein großer
Scherbenhaufen. Tief einatmen.
Natürlich sind wir traurig.
Enttäuscht. Fragen uns, warum hat so ein Regal nach fünf Jahren einfach keine
Lust mehr an der Wand zu hängen. Wir sind sauer auf den Hersteller und irgendwie
auch auf Gott – und müde. Warum passiert das?, fragen wir uns und: Könnten wir
aus den Tonscherben irgendwas mit Mosaik machen, eine Tischplatte vielleicht
und wäre das ein schöner oder schmerzhafter Anblick eines Tages…
Und dann habe ich meine Frau
angesehen und wir haben einen zweiten Blick gewagt. Immer noch müde, wütend,
enttäuscht und traurig kam so etwas wie Dankbarkeit in Sicht. Danke, Gott, dass
es nachts passiert ist und niemand auf dem Platz unter dem Regal gesessen hat.
Danke, dass das Rot am Boden nur Wein war. Danke, für die Erinnerungen, die
bleiben. Danke, dass wir eine Küche haben und noch mehr Teller. Danke, Gott, dass
wir zusammenstehen können und auch in der dunklen Nacht anpacken und putzen bis
es sauber ist. Wir sind nicht immer dankbar und positiv. Aber je mehr Menschen
wir begegnen, die schwere Lebensreisen hinter sich haben, desto mehr können wir
auch mal kaputte Dinge aushalten.
Wir glauben an Gott, der
Leben und Sterben in der Hand hat. Der Schönheit und Ganzheit kennt und liebt,
aber dem auch Kaputtes und Scherben vertraut sind. Der nicht wegläuft, wenn es
schwer wird, wenn es hässlich wird und gemein. Sondern, der beisteht, mittrauert
und tröstet und manchmal sogar neue Wunder schaffen kann aus alten Wunden. Einen
Gott, der ein Mosaik erschaffen kann aus Scherben. Schönheit aus Tohuwabohu.
Wir glauben an Gott den
Schöpfer, der nicht nur Welten erschaffen kann, sondern auch ein neues Herz in
mir: „Schaff du mir, Gott, ein reines Herz und erneuere in meinem Inneren einen
beständigen Geist!“ (1)
In dieser Nacht ist uns
dieses Glaubensbekenntnis noch mal näher gerückt. Das Leid in mir und in dir –
das ist da. Und doch will ich ein neues Lied finden. Einen Lobgesang auf den,
der auch die Scherben meines Lebens in ein Kunstwerk verwandeln kann. Gott du
Schöpfer, schaffe neu. Ich bin gespannt auf unseren Weg, ebenso in den Scherben,
wie auch in der Schönheit – in meinen schweren und den guten Zeiten.
Einen wunderschönen Tag. Und
danke, ja danke, fürs Zuhören. Patrick Depuhl, Alpen.
(1) Das Buch, Psalm 51,12,
Bibelübersetzung von Roland Werner, SCM Verlagsgruppe, Witten.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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