Alle sind fassungslos. Können
es immer noch nicht glauben. Er ist einfach vom Sofa gefallen und war tot. Mit
Mitte 50. Das muss man sich mal vorstellen. Gestern noch auf der Arbeit und
heute tot. Gestern noch gegessen, getrunken, geschlafen. Geküsst, gelacht,
gestritten.
Karl ist ein enger Freund
gewesen. Der erste aus dem inneren Circle, der plötzlich und unerwartet einfach
stirbt. Natürlich bin ich sehr traurig – aber ich bin auch ganz schön wütend
auf ihn. Es war so ein Sturbock. Zu Ärzten ist er einfach nicht gegangen. Hatte
mal `ne schlechte Erfahrung in seiner Kindheit. Seitdem hat er diese
Berufsgruppe gemieden. Vorsorge für ihn ein Fremdwort. Manchmal denke ich: Karl
wollte es genauso.
Ich zähle sie durch, die
Toten in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Es sind schon ganz schön viele.
Die meisten nach langer, schwerer Krankheit. Der Tod rückt näher. Kennen Sie
das auch? Wie gehen Sie damit um? Verändern die Toten ihr Leben?
Ich kann sagen: Mein Leben
verändern sie. Ich beginne mein Sterben vorzubereiten. Ich bilde ein Team. Habe
meine Freundin gefragt, ob sie mir bei einem Suizid in der Endphase einer
totbringenden Krankheit assistieren würde. Sie ist Ärztin. Meinen besten Freund
frage ich, ob er das juristisch regelt. Und einen befreundeten Seelsorger, ob
er mich begleitet.
Meiner Familie kann und will
ich das nicht zumuten. Mein Mann denkt anders über einen assistierten Suizid als
ich. Natürlich gehört aber auch meine Familie zum Team.
Jetzt glauben Sie bloss
nicht, dass ich schon eine Patientenverfügung ausgefüllt habe. Nein!
Habe ich natürlich nicht! Da
bin ich genauso schlampig wie alle anderen um mich herum. Der Vordruck liegt
immerhin schon auf meinem Schreibtisch. Allerdings seit mindestens fünf Jahren.
Und sonst so? Ich habe mein
Leben noch nie verschoben oder aufgehoben für wenn ich mal groß und erwachsen bin, wenn
ich mal viel Geld habe, wenn das Kind aus dem Haus ist, ich endlich mal Zeit habe. Das
ist absolut nicht mein Thema.
Aber Ich möchte noch etwas
machen, was mich selbst verändert. Ich würde gerne mal den Kontext wechseln, die
Umgebung. Mich selbst noch einmal anders und neu erleben. In einer Rolle, die
ich noch nicht kenne. Die Comfortzone verlassen – aufbrechen in ein neues
Leben.
Ich möchte noch wachsen,
bevor ich sterbe. Nein, es hat nichts mit Leistung zu tun, sondern mit
Veränderung. Ich glaube, Gott will das auch. Er will, dass wir die Fülle des
Lebens erleben, bevor wir sterben. Also, warum damit nicht anfangen? Am besten
heute.
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