Karl ist tot

Kirche in WDR2 | 30.07.2022 | 00:00 Uhr

Alle sind fassungslos. Können

es immer noch nicht glauben. Er ist einfach vom Sofa gefallen und war tot. Mit

Mitte 50. Das muss man sich mal vorstellen. Gestern noch auf der Arbeit und

heute tot. Gestern noch gegessen, getrunken, geschlafen. Geküsst, gelacht,

gestritten.

Karl ist ein enger Freund

gewesen. Der erste aus dem inneren Circle, der plötzlich und unerwartet einfach

stirbt. Natürlich bin ich sehr traurig – aber ich bin auch ganz schön wütend

auf ihn. Es war so ein Sturbock. Zu Ärzten ist er einfach nicht gegangen. Hatte

mal `ne schlechte Erfahrung in seiner Kindheit. Seitdem hat er diese

Berufsgruppe gemieden. Vorsorge für ihn ein Fremdwort. Manchmal denke ich: Karl

wollte es genauso.

Ich zähle sie durch, die

Toten in meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Es sind schon ganz schön viele.

Die meisten nach langer, schwerer Krankheit. Der Tod rückt näher. Kennen Sie

das auch? Wie gehen Sie damit um? Verändern die Toten ihr Leben?

Ich kann sagen: Mein Leben

verändern sie. Ich beginne mein Sterben vorzubereiten. Ich bilde ein Team. Habe

meine Freundin gefragt, ob sie mir bei einem Suizid in der Endphase einer

totbringenden Krankheit assistieren würde. Sie ist Ärztin. Meinen besten Freund

frage ich, ob er das juristisch regelt. Und einen befreundeten Seelsorger, ob

er mich begleitet.

Meiner Familie kann und will

ich das nicht zumuten. Mein Mann denkt anders über einen assistierten Suizid als

ich. Natürlich gehört aber auch meine Familie zum Team.

Jetzt glauben Sie bloss

nicht, dass ich schon eine Patientenverfügung ausgefüllt habe. Nein!

Habe ich natürlich nicht! Da

bin ich genauso schlampig wie alle anderen um mich herum. Der Vordruck liegt

immerhin schon auf meinem Schreibtisch. Allerdings seit mindestens fünf Jahren.

Und sonst so? Ich habe mein

Leben noch nie verschoben oder aufgehoben für wenn ich mal groß und erwachsen bin, wenn

ich mal viel Geld habe, wenn das Kind aus dem Haus ist, ich endlich mal Zeit habe. Das

ist absolut nicht mein Thema.

Aber Ich möchte noch etwas

machen, was mich selbst verändert. Ich würde gerne mal den Kontext wechseln, die

Umgebung. Mich selbst noch einmal anders und neu erleben. In einer Rolle, die

ich noch nicht kenne. Die Comfortzone verlassen – aufbrechen in ein neues

Leben.

Ich möchte noch wachsen,

bevor ich sterbe. Nein, es hat nichts mit Leistung zu tun, sondern mit

Veränderung. Ich glaube, Gott will das auch. Er will, dass wir die Fülle des

Lebens erleben, bevor wir sterben. Also, warum damit nicht anfangen? Am besten

heute.

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58797_WDR220220730Steinwender.mp3

  • 30.7.2022
  • Sabine Steinwender
  • © CCO Pixabay
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