Glauben und handeln (zum 200. Geburtstag von Johann Friedrich Oberlin)

Kirche in WDR3 | 01.06.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen!

Vor vielen Jahren begegne ich in einem Dorf auf der

Insel Sumatra in Indonesien einem jungen Pfarrer. Er überrascht mich mit der

Aussage: „Meine wichtigste Aufgabe als Pfarrer hier ist es, den Bewohnerinnen

und Bewohnern meines Dorfes zu Toiletten zu verhelfen.“ Wie kommt er dazu?

Seine Antwort: „Wie kann ich den Menschen, das Evangelium verkündigen – die

gute Nachricht von der Liebe Gottes – und sie gleichzeitig in Lebensverhältnissen

belassen, die sie krank machen? Stellen Sie sich vor: Die Menschen hier müssen denselben

Fluss für die Toilette benutzen, aus dem sie ihr Trinkwasser nehmen. Das

einfach so hinzunehmen, ist nicht vereinbar mit dem Evangelium.“

An diese Begegnung muss ich denken, als ich vor

einiger Zeit von Johann Friedrich Oberlin gelesen habe. Als junger Mann kommt

er vor über 250 Jahren als Pfarrer nach Waldersbach im Steintal – heute würden

wir den Ort als sozialen Brennpunkt bezeichnen. Die Gemeinde gilt damals als

eine der ärmsten und am meisten verwahrlosten im ganzen Elsass. Für Oberlin ist

schnell deutlich: Ich kann hier nicht als Pfarrer arbeiten, ohne mich dafür

einzusetzen, dass sich die furchtbaren Lebensverhältnisse der Menschen ändern. Das

gehört für ihn zum Evangelium, der guten Nachricht von der Liebe Gottes, untrennbar

dazu.

So packt er an: Er verbessert mit den Bauern

gemeinsam die Anbaumethoden in der Landwirtschaft, baut mit ihnen

Bewässerungsanlagen, erschließt abgelegene Gebiete mit Straßen und Brücken,

kümmert sich um bessere Wohnverhältnisse, hygienische Bedingungen,

Arbeitsmöglichkeiten und vieles andere mehr.

Besonders wichtig sind ihm die Kinder. Zu sehen, wie

die Kinder aufwachsen, treibt ihm die Tränen in die Augen. „Sie haben mehr

Schläge als Brot gesehen“, sagt Oberlin. Sein Mitleid aber führt ihn

unmittelbar zur Tat. Und da ist er dann seiner Zeit weit voraus. Er sagt:

„Erzieht eure Kinder ohne zuviel Strenge … mit andauernder zarter Güte, jedoch

ohne Spott.“ (1)

Oberlin erkennt den Wert der Bildung für die Zukunft

der Kinder. Er gründet einen Vorläufer der heutigen Kindertagesstätten. Er

führt eine Schulpflicht ein. Beides für Mädchen und Jungen. Die Freude am

Lernen steht für ihn im Mittelpunkt.

Er entwickelt sogar selber Spiele und Materialien,

die an der Lebenswelt der Kinder ausgerichtet sind. Er begegnet den Kindern,

die oft als billige Arbeitskräfte missbraucht werden, mit Liebe und Achtung für

ihre jeweilige Persönlichkeit.

Mich erinnert das daran, wie Jesus einmal einer

Gruppe von Kindern begegnet ist. Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Lasst doch die

Kinder zu mir kommen, hindert sie nicht daran! Denn für Menschen wie sie ist

das Reich Gottes da.“ (2) Jesus begegnet den Kindern mit Wertschätzung. Wenn

wir Kindern respektvoll begegnen und wertschätzend mit ihnen umgehen, bleibt

kein Platz für Gewalt, für Missbrauch oder Ausbeutung. Johann Friedrich Oberlin

hat sein ganzes Leben damit zugebracht, das Leben der Kinder und auch der

Erwachsenen in seiner Gemeinde zu verbessern.

Heute vor knapp 200 Jahren ist er gestorben. Mich

beeindruckt, wie sein Glaube seinen Blick auf die Menschen verändert hat. Er

hat sie angeschaut als von Gott geliebte Geschöpfe. Und das hat ihr Leben

verändert.

Es grüßt Sie Ihr Dietmar Arends,

Landessuperintendent aus Detmold.

Quellen:

(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Friedrich_Oberlin (letzter Abruf 04.05.2022)

(2) Markus 10,14 BasisBibel.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58234_WDR3520220601Arends.mp3

  • 1.6.2022
  • Dietmar Arends
  • © CCO wikimedia commons
Downloads