Lebensschule Garten

Kirche in WDR3 | 29.12.2022 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen.

Wo

das Geheimnis der Welt zu finden ist? Das hat mir meine Großmutter gezeigt.

Sie

zieht die blassgrüne Schürze an, die mit den rosa und gelben Blumen drauf. Dunkelgrüne

Gummistiefel, hellgrünes Haarnetz, Spaten und Eimer in der einen Hand, ich an

der anderen. Meine kleinen Gummistiefel sind rot, und ich ziehe die kleine

Harke hinter mir her.

Meine

Omi und ich gehen in den Garten.

Omi

steckt den Spaten tief in die Erde vom Gemüsebeet. Ein Tritt und hoch den

Spaten. Und schon kommt der wunderbare Mutterboden zum Vorschein, mittendrin

ein großer langer Regenwurm. Er windet sich und taucht blitzschnell in der Erde

wieder unter. Wir haben Samentütchen dabei. Schnittlauch, Dill und Petersilie.

Omi

gräbt das Gemüsebeet um, zieht spitze Furchen in den Boden oder hebt kleine

Löcher aus. Da kommen die Samen rein und Knollen und Setzlinge. Wir säen und

pflanzen und hegen und pflegen und ernten das ganze Jahr. Und begegnen dabei

Vögeln und Käfern, Raupen und Schmetterlingen, Kröten und Fröschen, Bienen und

Hummeln und Mücken. Nichts ist zu klein, um nicht eine eigene Aufgabe zu haben.

Aus Kleinem wächst Großes. Ganz von selbst und noch besser mit unserer Hege und

Pflege. Nektar für die Bienen, Mücken für die Vögel. Pellkartoffeln mit

Kräutern, Salat und Möhren für uns. Dass selbst Brennnesseln schmecken können,

das habe ich erst viel später erfahren. Alle werden satt.

Ich

bin fasziniert von dem, was lebt und webt in dieser bunten Welt. Das Geheimnis

der Welt, es liegt immer noch ein Stück tiefer, in den allerkleinsten Lebewesen

und Samenkörnern. Manche kann ich mit dem Auge gar nicht wahrnehmen.

Geht

hin und bringt Frucht, trägt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern auf (Johannes

5,16). Und Omis Garten ist dafür wie eine Lebensschule.

Daran

denke ich jetzt gern – mitten im Winter, zwischen den Jahren, wo ich darüber

nachdenke, wie ich das neue Jahr angehen will.

Ich

will Wurzeln schlagen. Da, wo ich gerade lebe. In meiner Stadt. An meiner

Arbeitsstelle. In meiner Nachbarschaft. Bei denen, die mir nahestehen. In

meinem Glauben. In meiner Kirche.

Ich

will wachsen und gedeihen! Das kann ich da, wo ich vertrauen kann. Da wo ich

Menschen mag und sie mich. Da wo man respektvoll und höflich miteinander

umgeht. Da wo ich gesunde Luft atmen kann. Da wo ich mich frei äußern kann ohne

Angst. Wo man singt und tanzt. Dann packt mich die Lebenslust! Ich brauche das

Zusammenarbeiten und -leben mit anderen, um aufzublühen.

Aus

der Raupe wird ein Schmetterling. Aus dem Samenkorn bunte Blüten oder eine

ganze Ähre. Aus zarten Wurzeln wird ein Stamm, an den sich andere anlehnen

können. Aus ganz Kleinem etwas Großes. Manchmal wird etwas aus kurzen

Begegnungen:

Da

kommt manchmal sehr viele Jahre später eine Nachricht: „Du, das hat mir damals

sehr geholfen! Danke!“

Omis Garten, eine Lebensschule.

Manches wächst von allein. Anderes braucht Hege und Pflege. Und alles stirbt

einmal. Ob Omi weiß, dass sie auch nach ihrem Tod noch so viel Lebensfrüchte

bringt? Ich streue in meinem Leben viele Samen aus – und Gott lässt sie

vielleicht irgendwo aufgehen. Von vielen werde ich niemals wissen. Es bleibt

ein Geheimnis. Aber ich kann sicher sein: Es gibt kein Leben, das nicht anderes

Leben zum Blühen bringt. Kein Leben ist zu klein, kein Leben ist vergeblich. Gute

Aussichten für das kommende Jahr, finde ich.

Einen zuversichtlichen

Blick auf das herannahende, neue Jahr wünscht Ihnen,

Petra Schulze,

Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59853_WDR3520221229Schulze.mp3

  • 29.12.2022
  • Petra Schulze
  • © CCO Pixabay
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