Die
Tagessschau läuft. Ich schaue viel Nachrichten in diesen Tagen. Viel mehr als
sonst. Viel mehr, als mir guttut. Ich sehe diese Straße. Irgendwo in der
Ukraine. Ich sehe, wie Menschen rennen. In panischer Furcht. Sie stolpern über
Geröll und Schutt hinweg auf einen Bus zu, der sie in Sicherheit bringen soll.
Immer geduckt, um kein Ziel zu bieten. Da ist ein kleiner Junge, vielleicht
fünf Jahre alt. Er kann nicht schnell rennen. Seine Beine sind zu kurz, um über
das Geröll zu klettern. Er bleibt zurück. Keiner achtet auf ihn. Alle rennen
voller Angst. Und er ist allein. Da kommt ein Soldat ins Bild, schnappt sich
den Kleinen, klemmt ihn sich unter den Arm wie ein Bündel alter Kleider und
trägt ihn weiter. Die kleinen Arme und Beine schlackern kraftlos. Schließlich
erreichen sie den Bus. Gerettet. Für den Moment. Das ist, was Krieg bedeutet.
Nichts Großes oder Heldenhaftes. Nur Leid, Angst und Zerstörung. Und es bricht
mir das Herz. Die Fragen in meinem Kopf drehen sich in Dauerschleife. Wie hört
das auf? Was kann ich tun? Kann ich überhaupt etwas tun? Ich kann schließlich
keine Granaten aufhalten, keine Panzer stoppen. Ich kann auch nicht zu
irgendeinem Machthaber gehen und ihn so lange schütteln, bis er zur Besinnung
kommt und das mit dem Krieg sein lässt. Ich würde gern. Aber ich kann nicht. Ihr
könnt etwas tun. Sagt Jesus. Wachet und betet. Sagt er. Wenn eure Kraft zu
klein ist. Die Macht der Mächtigen nicht ausreicht. Wenn das Gefühl der
Hilflosigkeit euch lähmen will. Dann könnt ihr: Wachen und Beten. Das klingt
nach Nichtstun und Zuschauen. Aber es ist das genaue Gegenteil. Es bedeutet:
Wachsam sein. Hinsehen. Damit das Unrecht nicht im Verborgenen geschieht. Damit
der Täter sich nicht im Dunkel der Lüge verstecken kann. Es bedeutet: Die
Menschen in ihrer Not wahrnehmen. Ihre Traurigkeit teilen. Mit aller Kraft nach
den kleinen Schritten Ausschau halten, die Not lindern, und die man auch als
normaler Mensch gehen kann. Es bedeutet auch: Aufpassen, dass man sich nicht
selber einfangen lässt von der Logik des Krieges, in der es plötzlich keine
Menschen mehr zu geben scheint, sondern nur noch Feinde und Verbündete. Wachsam
sein können wir. Und beten. Sorge und Hilflosigkeit in Gottes Hand legen. Damit
wir Trost finden. Und darin die Kraft, beharrlich zu bleiben. Zu helfen. Den
Frieden zu suchen. Und zu vergeben. Wenn es dafür an der Zeit ist.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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