„Mit viel Geduld gibt es auch Fortschritte zu erkennen“

DREI FRAGEN AN . . . die Oberkirchenrätin und leidenschaftliche Ökumenikerin Barbara Rudolph zum Jüdisch-Christlichen Workshop Mitte November in Israel und den neuen Leitgedanken zur Israel-Palästina-Frage.

Frau Rudolph, welche Eindrücke bringen Sie von dem jüngsten Jüdisch-Christlichen Workshop in Jerusalem mit?
Barbara Rudolph:
Das ist nun der 6. Workshop, den die Evangelische Kirche im Rheinland seit 2013 zusammen mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und dem Heiligen Land organisiert hat. Aber diesmal war es ein ganz besonderer Workshop, allein schon wegen seiner äußeren Bedingungen: Es war ungeheuer kompliziert, überhaupt nach Israel zu kommen, Wir waren so ziemlich die Ersten in diesem Jahr und, das müssen wir jetzt sagen, auch so ziemlich die Letzten, die mit einem einfachen Visum einreisen konnten. Die Altstadt Jerusalems, sonst immer proppenvoll mit Touristengruppen, war leer gefegt. Die wirtschaftlichen Probleme einer auf den Tourismus angewiesenen Region sind mit den Händen zu greifen, die Anspannung zwischen Palästinensern und Juden ist immens groß, offizielle Gespräche finden so gut wie gar nicht statt. Umso erfreulicher war das Interesse an dem Workshop, sowohl in Jerusalem als auch hier in Deutschland.

Vom 14. bis 17. November trafen sich in Jerusalem zum sechsten Mal deutsche und palästinensische Christen sowie Juden zu einem gemeinsamen Workshop.

Fünf Landeskirchen haben gerade mit Blick auf die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 2022 in Karlsruhe Leitgedanken zur Israel-Palästina-Frage veröffentlicht. Mit welcher Erwartung?
Rudolph: Wir hoffen darauf, dass die Leitgedanken dazu beitragen, der Polarisierung in dem Konflikt im Nahen Osten entgegenzutreten. Häufig gibt es, auch in unserer Gesellschaft, eine einseitige Parteinahme für die eine oder andere Seite. Das aber hilft in einer Situation, in der Menschen miteinander eine Lösung finden müssen, nicht weiter. Die Leitgedanken werben dafür, den Konflikt zwischen Israel und Palästina als das wahrzunehmen, was er ist: komplex und kompliziert. Sie werben zugleich dafür, in der Aufmerksamkeit auf diesen winzigen Landstrich im Nahen Osten nicht nachzulassen, denn beide Völker, Juden und Palästinenser, haben ein Recht auf ein friedliches und gerechtes Leben. Die Leitgedanken sollen der weltweiten Christenheit der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen die Solidarität mit Palästina verdeutlichen, allerdings ohne die jüdische Seite zu übersehen, die ansonsten auf der Vollversammlung kaum Berücksichtigung findet. Die jüdische Gemeinschaft ist ja, weil sie keine Kirche ist, im Weltrat nicht vertreten.

Können Juden und Palästinenser derzeit überhaupt noch miteinander reden?
Rudolph: Es ist schwer, miteinander zu reden. Wenn jeden Morgen die palästinensischen Gesprächspartner aus der Westbank zu spät kommen, weil sie am Checkpoint aufgehalten worden sind, und diese morgendlichen Erfahrungen schon mit in den Raum bringen, prägt das die Atmosphäre. Wenn jüdische Gesprächspartner bestimmte Regionen in Jerusalem meiden, weil es dort, auch während unseres Aufenthaltes, Messerattacken mit tödlichem Ausgang gegeben hat, dann geht man nicht einfach zu einem Dialog über, als wäre nichts geschehen. Wir haben über die Jahre eine besondere Methode entwickelt und nennen sie „Safe Space“. Es geht darum, nicht zu diskutieren und unterschiedliche Standpunkte auszutauschen, erst recht nicht zu argumentieren, sondern aufeinander zu hören, die (fremden) Gedanken der anderen wahrzunehmen und zu verstehen. Deshalb gibt es auch keine Vorträge, sondern wir tauschen Gedanken über Bibelstellen aus und stellen sie in den eigenen biografischen Kontext. Vielleicht brauchte es dazu den Impuls aus Deutschland, aber über unsere Workshops haben sich viele Juden und Palästinenser aus der Region kennengelernt, laden sich gegenseitig zu Vorträgen vor Studierenden ein und verabreden sich jetzt auch ohne uns. Also, es ist schwer, aber mit viel Geduld gibt es auch Fortschritte zu erkennen. Und nächstes Jahr treffen wir uns wieder, in Deutschland anlässlich der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen.

  • 9.12.2021
  • Ekkehard Rüger
  • Uwe Schinkel