Stark für den Frieden

Kirche in WDR2 | 16.05.2022 | 00:00 Uhr

Vor

gut 80 Jahren, im Juni 1941, marschiert die deutsche Wehrmacht in die

Sowjetunion ein. Da hat Russland zuletzt erlebt, wie das ist, wenn das eigene

Land von einem Aggressor überfallen wird.

Vor

gut zehn Jahren stehe ich in der russischen Stadt Pskow. Meine Kirchengemeinde

in Wassenberg unterhält dort ein Heilpädagogisches Zentrum, eine Schule für

schwerstmehrfach behinderte Kinder. Die russischen Lehrerinnen und Lehrer

kommen jedes Jahr, bilden sich weiter an einer Förderschule in Heinsberg. Wir

kennen uns. Sind Freunde geworden im Laufe der Jahre.

Ich

stehe draußen auf einem Platz in Pskow, am Gedenktag an den Einmarsch deutscher

Truppen und erzähle meine Geschichte:

1941.

Da ist meine Mutter fünf Jahre alt. Sie sieht ihren eigenen Vater lange Jahre

nicht. Der hatte sich den Nazis gefügt, war Soldat der Wehrmacht. Am Ende des

Krieges russische Gefangenschaft im Kaukasus.

1941.

Mein Vater ist da acht Jahre alt. Er spielt in Wuppertal auf der Straße mit den

Kindern von Paul Schneider, einem evangelischen Pfarrer, der sich laut und

deutlich gegen die Nazis stellt und am Ende im KZ Buchenwald ermordet wird. Die

beiden älteren Brüder meines Vaters werden in den Krieg gezogen, kommen

traumatisiert nach Hause.

Das

ist meine Erinnerung: Es gab Täter und Mitläufer und Opfer. Und nur wenige, die

widersprechen. Dieser große Krieg hat Spuren hinterlassen in den Familien in

Russland wie in Deutschland.

Auch

heute sind für mich „die Russen“ keine Feinde. Auch Menschen, die sich den

Mächtigen fügen, sehnen sich doch nach Frieden.

Versöhnung

geschieht, wenn Menschen eine gute, eine tragfähige Beziehung aufbauen. Genau

das ist zwischen Deutschland und Russland geschehen. Es gibt unzählige soziale

Projekte, einen vielfältigen kulturellen Austausch, gelebte Freundschaften.

Nach wie vor.

Auch

unsere Freundinnen und Freunde sind in Sorge. Junge Männer werden in den Krieg

geschickt und wissen oft nicht, wie ihnen geschieht. Auch sie wollen nach

Hause. Auch sie wollen Frieden.

Und

darauf hoffe ich heute: Dass es mehr sind als damals in Deutschland, die sich

erheben und dem Krieg widersprechen. Die Frauen, Mütter, Großeltern. Die

Zivilgesellschaft und die Opposition. Die Bedingungen dafür sind schwer. Aber

sie können sich auf unsere Freundschaften verlassen. Es gibt tragfähige

Beziehungen. Die machen stark für Frieden.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 16.5.2022
  • Titus Reinmuth
  • © Theo Cohnen
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