Vor
gut 80 Jahren, im Juni 1941, marschiert die deutsche Wehrmacht in die
Sowjetunion ein. Da hat Russland zuletzt erlebt, wie das ist, wenn das eigene
Land von einem Aggressor überfallen wird.
Vor
gut zehn Jahren stehe ich in der russischen Stadt Pskow. Meine Kirchengemeinde
in Wassenberg unterhält dort ein Heilpädagogisches Zentrum, eine Schule für
schwerstmehrfach behinderte Kinder. Die russischen Lehrerinnen und Lehrer
kommen jedes Jahr, bilden sich weiter an einer Förderschule in Heinsberg. Wir
kennen uns. Sind Freunde geworden im Laufe der Jahre.
Ich
stehe draußen auf einem Platz in Pskow, am Gedenktag an den Einmarsch deutscher
Truppen und erzähle meine Geschichte:
1941.
Da ist meine Mutter fünf Jahre alt. Sie sieht ihren eigenen Vater lange Jahre
nicht. Der hatte sich den Nazis gefügt, war Soldat der Wehrmacht. Am Ende des
Krieges russische Gefangenschaft im Kaukasus.
1941.
Mein Vater ist da acht Jahre alt. Er spielt in Wuppertal auf der Straße mit den
Kindern von Paul Schneider, einem evangelischen Pfarrer, der sich laut und
deutlich gegen die Nazis stellt und am Ende im KZ Buchenwald ermordet wird. Die
beiden älteren Brüder meines Vaters werden in den Krieg gezogen, kommen
traumatisiert nach Hause.
Das
ist meine Erinnerung: Es gab Täter und Mitläufer und Opfer. Und nur wenige, die
widersprechen. Dieser große Krieg hat Spuren hinterlassen in den Familien in
Russland wie in Deutschland.
Auch
heute sind für mich „die Russen“ keine Feinde. Auch Menschen, die sich den
Mächtigen fügen, sehnen sich doch nach Frieden.
Versöhnung
geschieht, wenn Menschen eine gute, eine tragfähige Beziehung aufbauen. Genau
das ist zwischen Deutschland und Russland geschehen. Es gibt unzählige soziale
Projekte, einen vielfältigen kulturellen Austausch, gelebte Freundschaften.
Nach wie vor.
Auch
unsere Freundinnen und Freunde sind in Sorge. Junge Männer werden in den Krieg
geschickt und wissen oft nicht, wie ihnen geschieht. Auch sie wollen nach
Hause. Auch sie wollen Frieden.
Und
darauf hoffe ich heute: Dass es mehr sind als damals in Deutschland, die sich
erheben und dem Krieg widersprechen. Die Frauen, Mütter, Großeltern. Die
Zivilgesellschaft und die Opposition. Die Bedingungen dafür sind schwer. Aber
sie können sich auf unsere Freundschaften verlassen. Es gibt tragfähige
Beziehungen. Die machen stark für Frieden.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58166_WDR220220516Reinmuth.mp3