Enttäuschung vor der Tür

Kirche in WDR3 | 16.05.2022 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen,

ich

bin ziemlich enttäuscht, als ich vor dieser wunderschönen Kapelle stehe. Es ist

früher Nachmittag, und ich bin schon einige Stunden im Allgäu unterwegs. Da

entdecke ich am Wegrand die kleine Kirche. In frischem Weiß leuchtet sie in der

Sonne. Mir tun die Beine weh. Ich freue

mich auf eine wohltuende Pause und bin gespannt, wie die Kapelle in ihrem

Inneren aussieht. Die schwere Holztür ist nicht verschlossen. Doch als ich sie

öffne, bin ich überrascht. Hinter der Holztür verbirgt sich eine zweite Tür. Im

oberen Teil dieser zweiten Tür befindet sich ein Fenster, das den Blick ins

Innere frei gibt: Vor einem kleinen Altar sehe ich da eine Gruppe von

Holzbänken. Auf dem Altar ein Blumenstrauß und ein Bild, auf dem Jesus als

Hirte zu sehen ist, der ein Lämmchen in seinen Armen hält. Ich bin fasziniert von

diesem schönen Inneren der Kapelle und bemerke erst jetzt, dass die zweite Tür

keinen Türgriff besitzt, also gar nicht zu öffnen ist.

Na

toll, denke: Da heißt es bei kirchens immer: Wir sind offen für jedermann. Und

besonders für die Mühseligen und Beladenen. Und da steht dann mal ein müder

Wanderer vor so einer tollen Kapelle und dann kann er nicht rein.

Nur

ein Blick in eine schöne und sehr gepflegte Kirche ist mir gegönnt. Und ich

muss meine Wanderung fortsetzen, bis ich irgendwann eine Bank finde, auf der

ich meine Pause machen und mich erholen kann.

Ich

weiß. Es gibt gute Gründe, eine Kirche nur zu bestimmten Zeiten zu öffnen.

Immer

wieder gibt es ja Leute, die Häuser beschmieren und alles klauen, was ihnen in

die Finger kommt. Und selbst vor Kirchen nicht Halt machen.

Aber

muss man dazu den Zugang ein für alle Mal verriegeln und verrammeln. Denn eine

Tür ohne Türklinke ist eigentlich keine Tür mehr. Da kann man dann eigentlich

direkt eine Wand einziehen. Warum, so habe ich mich gefragt, ist diese schöne

Kapelle nicht zu bestimmten Zeiten geöffnet? Zum Beispiel dann, wenn in dieser

wunderschönen Gegend viele Wanderer unterwegs sind?

Jesus

selbst hat seinen Leuten einmal beschrieben, wie eine offene Kirche aussehen

kann.

Dazu

benutzt er auch das Bild von der Tür. Jesus sagt:

„Ich bin die Tür;

wenn jemand durch mich hineingeht, wird er selig werden und wird ein und

ausgehen und wird Leben finden.“ (Johannes 10,9, Die Bibel, Luther 2017)

Jesus

selbst ist also die Tür, durch die ich in die Kirche eintrete. Er ist der gute

Hirte aller Menschen, die zu ihm gehören. Und er geht mit ihnen raus aus der

Kapelle ins Freie. Dort begleitet er sie und wenn sie müde geworden sind, macht

er mit ihnen eine Pause.

Im

geschützten Raum einer Kapelle oder KIrche. Bei Jesus ein- und ausgehen. Durch

die geöffnete Tür hindurch gehen. Schutz finden. Das braucht nicht nur der

Körper. Auch unsere Seelen brauchen ein Dach über dem Kopf. Ein Obdach, wo wir

ausruhen können.

Jesus

gönnt uns diesen Rückzugsraum in der Kapelle. Damit ich wieder Kraft schöpfen

kann. Meine müden Beine und meine erschöpfte Seele.

Ich

kann nicht immer pausenlos im Außen und unter Menschen sein. Ich brauche Orte

für Stille und Rückzug.

Und: Ich

bin die Tür – sagt Jesus.

Danke, Gott, dass Du sie immer offen hältst – für alle, die zu Dir wollen.

Ihr Pastor Christoph

Neumann aus Iserlohn.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58123_WDR3520220516Neumann.mp3

  • 16.5.2022
  • Christoph Neumann
  • © CCO Pixabay
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