Kraftorte

Kirche in WDR3 | 22.04.2023 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen!

Wir

sind im Urlaub in Norwegen. Heute geht’s mit einem Bus und einer Reiseführerin

auf die Lofoten. Im Fischerdort Stamsund fahren wir an einer Kirche vorbei. Die

meisten Kirchen in Norwegen sind aus Holz. Diese ist anders. Sie ist weiß und

aus Beton. Fast trotzig und protzig steht sie da mit ihrer eckigen und kantigen

Form. Knapp hundert Jahre alt ist sie. (1) Von den Einheimischen wird sie auch

Kraftwerk genannt. Abends, als wir zurück auf unserem Schiff sind, schreibe ich

in mein Reisetagebuch: „Keine schlechte Bezeichnung. Muss ich mir merken.“

Nun

haben wir ja zu Kraftwerken ein eher schwieriges Verhältnis, wenn in ihnen

klimaschädlich Energie erzeugt wird. Aber als Bezeichnung für eine Kirche finde

ich das schon sehr reizvoll. Ein Ort, von dem Energie ausgeht, wo man Kraft

tanken kann, wo man ermutigt wird und erfüllt seinen Weg weitergeht. Das haben

Menschen schon oft erlebt.

Ich

erinnere mich an ein Interview mit Joachim Gauck, dem früheren

Bundespräsidenten, zum Tag der deutschen Einheit. Er steht damals in der

Rostocker Marienkirche. Vor der Wende 1989 haben sich dort jeden Donnerstag

sehr viele Menschen zu Friedensgebeten versammelt und für die Erneuerung der

Gesellschaft gebetet. Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen DDR-Bürgerinnen und Bürger viele

ihrer Nöte, Sorgen und Anliegen in einem geschützten Raum aussprechen konnten.

Für Joachim Gauck und alle, die dort zusammenkamen, war das wirklich ein

Kraftort. „Das Wichtigste war“, so Gauck dann im Interview, „das Wichtigste war,

dass wir unsere Angst verlieren konnten. Wir mussten uns gegenseitig ermutigen.

Man kann Ängste nicht wegzaubern, aber zähmen und Mut und Entschlossenheit

fassen.“ (2)

Menschen brauchen Orte, an denen sie Kraft

schöpfen können, wo sie erfüllt werden, wenn sie leer und ausgebrannt sind, wo

sie zur Ruhe kommen, wo eine Quelle der Hoffnung und Zuversicht sprudelt. Solche

Orte finde ich in der Natur, an alten, vielleicht sagenumwobenen Plätzen. Und

vor allem können Kirchen für mich solche Kraftorte sein. Wie gut tut es

manchmal, wenn ich den Trubel des Alltags hinter mir lasse und mich in der

Kirchenbank der Stille überlasse und in den Raum eintauche, der mich umgibt.

Dann ordnen sich vielleicht meine Gedanken und ich sehe weiter. Und wenn ich

dort im Gottesdienst gemeinsam mit anderen bete, singe und höre, dann spüre ich

manchmal, dass ich richtig erfüllt bin. Die Gemeinschaft, die ich dort erlebe,

tut mir einfach gut.

Vielleicht

haben Sie ja Lust, das einfach mal auszuprobieren.

Einen

guten Tag wünscht Ihnen Pfarrerin Annette Krüger aus Witten.

(1)

https://en.wikipedia.org/wiki/Stamsund_Church (letzter

Abruf: 25.03.23)

(2)

https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/gauck-deutsche-einheit-100.html

(Letzter

Aufruf: 23.02.2023)

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/60887_WDR3520230422Krueger.mp3

  • 22.4.2023
  • Annette Krüger
  • © CCO Pixabay
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