„Stille Nacht“: Wort zur Weihnacht

Wie wird die „Stille Nacht“ zur „heiligen Nacht“? Die Frage stelle ich mir jedes Jahr, wenn ich zur Christmette dieses heimelig-schöne Weihnachtslied anstimme. Antwort: Wenn es mir gelingt, Weihnachten zu meinem Fest zu machen. Innere Ruhe zu finden, einen Augenblick des Innehaltens, aus dem dann so etwas wie Dankbarkeit für das Leben wächst.

Dieses Jahr stellt sich die Frage allerdings eher umgekehrt: Wie wird aus der heiligen Nacht eine stille? Die Unruhe in dieser pandemiegeplagten Welt ist all überall spürbar. Die Welt ist laut, voller Vorwürfe, kruder Verschwörungstheorien, dumpfer Ängste. Die Grenze zwischen Verständnis und Ärger ist auch bei mir inzwischen ein schmaler Grad. Es rumort in mir wie wohl in vielen von uns.

Gott spricht zu uns in der Stille. Das ist das Geheimnis der Weihnacht und darum liebe ich dieses Lied so. Am Stall von Bethlehem hat sich diese Stille eingestellt. Durch die Hirten von nah und den Königen von fern. Sie sind einfach nur gekommen, um zu schauen und um zuzuhören. Wie wohltuend!

Laute Wahrheiten sind nicht immer nur die richtigen Wahrheiten. Am Stall von Bethlehem hat keiner gebrüllt, niemand lautstark demonstriert. Ein Segen. Schweigen. Und auf einmal und erst durch diese Stille hindurch hören die Menschen den Gesang der Engel.

„Friede auf Erden“ erklingt es zart über der Krippe. Und es stellt sich die wunderbare Erfahrung ein: In der Stille rücken Menschen zusammen. Und das gelingt – auch auf Abstand – erst dann, wenn die lauten Töne verstummen, das Kreisen um mich selbst und die eigenen Befindlichkeiten aufhört, und sich ein Raum öffnet für Neues. Durch die Geburt eines Kindes sagt Gott jedem von uns: Ich möchte, dass du lebst! – Ich habe dieses Jahr lange gebraucht, mich auf dieses Fest einzulassen. Jetzt bin ich froh, dass endlich Weihnachten ist.
Joachim Gerhardt

Kölnische/Bonner Rundschau

Geistlicher Impuls

Joachim Gerhardt, Pfarrer an der Bonner Lutherkirche und Pressesprecher des Kirchenkreises Bonn, schreibt alle drei Wochen das „Wort zum Sonntag“ in der Gesamtausgabe der Kölnischen/Bonner Rundschau, auf Seite 4 in der der großen Tageszeitung in der Köln-/Bonner Region. Hier erfahren Sie mehr: www.rundschau-online.de

Veröfffentlichung: 24.12.2021

  • 22.12.2021
  • Red
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