Jeder kennt sie. Es gibt sie
in allen Altersphasen: die Einsamkeit. Einsamkeit hat viele Gesichter, das
Grundgefühl bleibt aber immer ähnlich: Ich fühle mich traurig, ich fühle mich unverstanden,
ich bin so seltsam müde. Jeder fünfte Mensch hat „Symptome chronischer
Einsamkeit“, hieß es bei einer Anhörung von Experten im deutschen Bundestag zu
diesem Thema.
Und besonders betroffen seien
Menschen zwischen 18 und 29 Jahren sowie ab 80. – Da habe ich mit Mitte 50
vielleicht ja gerade einen glücklichen Lebensabschnitt, denke ich.
Andererseits: Die Bibel
erzählt von einem Mann, Zachäus heißt er, der wohl eher mein Alter ist. Dieser
Mann, erzählt die Bibel (Lk, 19), steht mitten im Berufsleben und hat sich
privat doch irgendwie auf Distanz zu seiner Umwelt eingerichtet. Der Beruf
bestimmt sein Leben. Als Zöllner und Geldeintreiber durchaus einträglich. Von
guten Freunden ist aber nicht die Rede. Von einem Baum aus, versteckt oben in
der Krone, verfolgt dieser Zachäus das Leben in seiner Stadt. Näher konnte oder
wollte er den Menschen persönlich wohl nicht kommen.
Jesus sieht Zachäus dort oben
und spricht: „Komm herunter! Ich möchte in deinem Haus einkehren.“ Für unser
Empfinden klingt das wohl etwas übergriffig. Doch dieser Satz verändert alles. Zachäus
steigt vom Baum und die beiden essen zusammen. Und Zachäus schöpft neu Kraft:
Er öffnet sich für seine Mitmenschen und teilt sein Geld mit anderen. Eine von
vielen kleinen Glücksgeschichten in der Bibel.
Die Botschaft ist: Menschen,
denen es nicht mehr gelingt, auf andere zuzugehen, bei denen dürfen wir uns
einladen. Dafür braucht es wache Augen und Mut zur Nähe. Auch heute. Gerade
nach zwei Jahren Abstandüben und viel digitaler Wirklichkeit. Wir müssen neu
lernen zu schauen: Wo finden wir Berührungsflächen, Orte der Begegnung, die der
Seele guttun.
Einsamkeit ist ein großes
Thema, oft leider auch noch ein großes Tabu in unserer Gesellschaft. Gut, dass
es im Bundestag Thema wurde. Denn die Einsamkeit ist nicht nur ein Elend für
jeden, der sie erlebt. Sie kann auf Dauer auch zu einer Gefahr für unsere
Gesellschaft werden. Immer mehr Menschen igeln sich ein, kapseln sich ab. Und sie
verlieren dabei nicht nur das Gespür für sich selbst, sondern auch für ihre
Mitmenschen. Unsere Gesellschaft, unsere Demokratie kann aber nur funktionieren,
wenn möglichst viele das Gefühl haben, wir gehören zusammen.
„Komm herunter vom Baum!“ Ich
möchte es vielen Menschen zurufen, die sich wie der Zöllner Zachäus irgendwo –
aus welchen Gründen auch immer – zurückgezogen und versteckt haben. Und sollte
ich selbst mal da oben hocken, würde ich mir wünschen, dass auch mich einer
sieht und anspricht: „Komm herunter, wir gehen gemeinsam essen!“
Quelle: Dr.
Susanne Bücker (Ruhr-Universität Bochum 2021): „Einsamkeit – Erkennen,
evaluieren und entschlossen entgegentreten“, Schriftliche Stellungnahme für die
öffentliche Anhörung Deutscher Bundestag-Drucksache BT 19/25249
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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