Vier Engel. Sie schweben. Wirken unaufgeregt. Keine
zerzausten Flügel, keine Halleluja- oder Gloriaschilder in den Händen. Ihre
Arme haben sie vor der Brust verschränkt, und ihr Blick geht Richtung Kirchenraum.
Sie haben gut im Blick, was bei den Menschen los ist. Wer
zündet hier mit Tränen in den Augen eine Kerze an? Wer sitzt mit schwerem
Herzen in der Bank? Die vier Engel schweben eng beieinander. Berühren sich ihre
Flügel? Schwer zu sagen. Sie schweben im Dunklen. Sind scheu. Vielleicht berühren
sie sich an den Flügelspitzen.
Sicher ist: Gemeinsam tragen sie eine große Last.
Im Altenberger Dom im bergischen Land tragen diese vier
Engel aus Holz eine Königin: die Orgel. Jedenfalls sieht es so aus.
Die vier Holzengel kommen aus der Werkstatt des Wiener
Künstlers Fritz Andre. Er hat sie 1928 geschaffen. Seine Engel sind klar geschnitten.
Kein Schnick-Schnack. Nichts mit Gold und Federn und Glöckchen. Engel sein.
Alles tragen können. Die Last der ganzen Welt. Das allein scheint Fritz Andre
als Botschaft gereicht zu haben.
Vier von ihnen schickt er raus. Mitten hinein in eine
Zeit, die mehr als vier unaufgeregte Engel hätte brauchen können und bis heute
braucht. Himmlische Heerscharen laut und aufdringlich, die wären nötig, damals
in den 1920er Jahren und heute wieder. Stattdessen fromme Zurückhaltung.
Vier Engel und die Königin der Instrumente, die Orgel.
Das passt. Sie ist zwar schwer. Aber sie macht wundervolle Musik. Verbindet mit
ihrem himmlischen Klang Menschen und Herzen. Engelsgleich. Aber trotzdem: Ganz
so fromm hätten die Orgelengel wirklich nicht ausfallen müssen. Sie fallen kaum
auf. Sie werden leicht übersehen. Man läuft an ihnen einfach so vorbei. Denn
sie haben keine wilden Locken, wie die unzähligen kleinen Engel, die die geschmiedeten
Gittertüren im Eingangsbereich des Domes schmücken und von denen manch einer so
aussieht als würde er ziemlich unter Strom stehen. Sie spielen keine
Instrumente und sie töten keine Drachen. Und deshalb können die meisten
Besucher:innen des Altenberger Domes wohl auch nicht einmal sagen, wo sie sind.
Die vier Orgelengel – meine Lieblingsengel – schweben
im Verborgenen. Aber sie sind da. Und sie haben eine klare Botschaft – finde
ich:
Eng zusammenstehen und solidarisch sein. Lasten
gemeinsam schultern oder wie die Engel flügeln. Dafür muss man nicht laut sein.
Dafür muss man nicht gesehen werden. Das geht im Kleinen, wenn alle ihren
Beitrag leisten. Wenn wir einander im Blick behalten, mitbekommen, was die
anderen brauchen. Und wenn wir den Schulter- oder Flügelschluss wagen. Mit
allen, die bereit sind, eine Last mitzutragen, eine Krise gemeinsam zu
bewältigen.
Ich denke da an’s Impfen in der Corona-Pandemie. An’s
sich testen lassen und an’s Maske tragen. Um sich selbst und andere nicht in
Gefahr zu bringen. Und ich denke da an’s Haltung zeigen, in Politik und
Gesellschaft: Niemanden ausgrenzen, weil er anders ist, weil sie eine andere
Religion oder eine andere Hautfarbe hat.
Vier Engel. Schweben. Unaufgeregt. Lächeln weise. Als
wollten sie sagen: Du brauchst keine Bärenkräfte. In der Ruhe liegt die Kraft.
Und: Es reicht, wenn deine Flügelspitze eine andere berührt. Dann könnt ihr
alles schultern.
Einen gesegneten 3. Adventssonntag wünsche ich Ihnen.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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