Ich
sehe ihn oft, hier bei uns im Viertel. Wenn er alleine durch die Straßen geht.
Manchmal mit festem Schritt, manchmal zögerlich, vor sich hin bummelnd. Ulrich
heißt er, aber alle nennen ihn nur „Ulli“, oder „Müllers Ulli“, wegen seinem
Nachnamen.
Ein
Ingenieur ist er gewesen bei einem großen Unternehmen. Hat viel Verantwortung
getragen, hat eine Abteilung mit vielen Mitarbeitenden geleitet. Eine
Führungsperson.
Nun
ist er schon lange in Pension. Und er könnte auch keine Führung mehr
übernehmen. Manchmal weiß er selber nicht mehr, wo er hin will.
Meistens
sammelt ihn dann jemand auf und bringt ihn nach Hause. Ulli freut sich dann
jedesmal und bedankt sich herzlich.
Seine
Frau ist heilfroh, dass sich „so viele nette Leute“, bereitfinden, sich um ihn
zu kümmern. Alleine könnte sie das gar nicht schaffen.
Die
Diagnose „Alzheimer“ vor drei Jahren ist ein Schock gewesen. Für Ulli, für
seine Familie, für alle hier vor Ort. Er ist der Hans Dampf in allen Gassen
gewesen, engagiert im Sportverein, in der Gemeinde, beim Karneval. Alle haben
ihn gekannt und gemocht. Eine echte Frohnatur, der dich immer zum Lachen gebracht
hat. Er ist stiller geworden, mit dem Fortschreiten der Erkrankung.
Ulli
trägt es tapfer. Es ist ja nicht zu ändern. Und alle tragen es mit. Und
gemeinsam ist es tragbar. Ulli kann zuhause bleiben, da wo er schon sein halbes
Leben lang wohnt und sich so wohl fühlt. Und er kann spazieren gehen, durch
sein Viertel laufen, das er so gut kennt. Meistens jedenfalls.
Neulich
treffe ich ihn, da sitzt er auf einer Bank in der Wintersonne. Er erzählt mir,
dass er darauf wartet, dass die Eckkneipe aufmacht. Er hat Lust auf ein
Bierchen.
Sein
Stammlokal hat er nicht vergessen. Und sie ihn auch nicht. Sind eine eingeschworene
Gruppe, die Besucher dieser Kneipe.
Ulli
wird dann hereingeholt und an die Theke gesetzt, dahin, wo er in all den Jahren
immer gesessen hat. Er kriegt sein Bierchen und der Wirt ruft dann bei seiner
Frau an:
„Mach
dir keine Sorgen, der Ulli ist hier – ja klar, an der Theke. Wie immer.“
Und
sie weiß dann, dass es ihm gut geht.
Wenn
ich den Ulli sehe – ob in der Kneipe oder am Rheinufer, ob alleine oder in
Begleitung, dann finde ich immer, dass das ein Beispiel gelebter Nächstenliebe
ist. Einem Menschen, der krank wird und sich dabei verändert, nicht aus dem Weg
zu gehen, sondern hinzugucken und ihn zu unterstützen. Und sei es nur mit einem
Bierchen und einem Anruf.
Ja
– Müllers Ulli hat Alzheimer. Und das wird auch nicht mehr weg gehen.
Ja
– Müllers Ulli ist sehr krank.
Aber
es geht im gut. Gott sei Dank.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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