Muellers Ulli hat Alzheimer

Kirche in WDR2 | 25.02.2023 | 00:00 Uhr

Ich

sehe ihn oft, hier bei uns im Viertel. Wenn er alleine durch die Straßen geht.

Manchmal mit festem Schritt, manchmal zögerlich, vor sich hin bummelnd. Ulrich

heißt er, aber alle nennen ihn nur „Ulli“, oder „Müllers Ulli“, wegen seinem

Nachnamen.

Ein

Ingenieur ist er gewesen bei einem großen Unternehmen. Hat viel Verantwortung

getragen, hat eine Abteilung mit vielen Mitarbeitenden geleitet. Eine

Führungsperson.

Nun

ist er schon lange in Pension. Und er könnte auch keine Führung mehr

übernehmen. Manchmal weiß er selber nicht mehr, wo er hin will.

Meistens

sammelt ihn dann jemand auf und bringt ihn nach Hause. Ulli freut sich dann

jedesmal und bedankt sich herzlich.

Seine

Frau ist heilfroh, dass sich „so viele nette Leute“, bereitfinden, sich um ihn

zu kümmern. Alleine könnte sie das gar nicht schaffen.

Die

Diagnose „Alzheimer“ vor drei Jahren ist ein Schock gewesen. Für Ulli, für

seine Familie, für alle hier vor Ort. Er ist der Hans Dampf in allen Gassen

gewesen, engagiert im Sportverein, in der Gemeinde, beim Karneval. Alle haben

ihn gekannt und gemocht. Eine echte Frohnatur, der dich immer zum Lachen gebracht

hat. Er ist stiller geworden, mit dem Fortschreiten der Erkrankung.

Ulli

trägt es tapfer. Es ist ja nicht zu ändern. Und alle tragen es mit. Und

gemeinsam ist es tragbar. Ulli kann zuhause bleiben, da wo er schon sein halbes

Leben lang wohnt und sich so wohl fühlt. Und er kann spazieren gehen, durch

sein Viertel laufen, das er so gut kennt. Meistens jedenfalls.

Neulich

treffe ich ihn, da sitzt er auf einer Bank in der Wintersonne. Er erzählt mir,

dass er darauf wartet, dass die Eckkneipe aufmacht. Er hat Lust auf ein

Bierchen.

Sein

Stammlokal hat er nicht vergessen. Und sie ihn auch nicht. Sind eine eingeschworene

Gruppe, die Besucher dieser Kneipe.

Ulli

wird dann hereingeholt und an die Theke gesetzt, dahin, wo er in all den Jahren

immer gesessen hat. Er kriegt sein Bierchen und der Wirt ruft dann bei seiner

Frau an:

„Mach

dir keine Sorgen, der Ulli ist hier – ja klar, an der Theke. Wie immer.“

Und

sie weiß dann, dass es ihm gut geht.

Wenn

ich den Ulli sehe – ob in der Kneipe oder am Rheinufer, ob alleine oder in

Begleitung, dann finde ich immer, dass das ein Beispiel gelebter Nächstenliebe

ist. Einem Menschen, der krank wird und sich dabei verändert, nicht aus dem Weg

zu gehen, sondern hinzugucken und ihn zu unterstützen. Und sei es nur mit einem

Bierchen und einem Anruf.

Ja

– Müllers Ulli hat Alzheimer. Und das wird auch nicht mehr weg gehen.

Ja

– Müllers Ulli ist sehr krank.

Aber

es geht im gut. Gott sei Dank.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/60428_WDR220230225Koehler.mp3

  • 25.2.2023
  • Matthias Köhler
  • © CCO Pixabay
Downloads