Scherben. Oder ein Mosaik…

Kirche in WDR3 | 28.07.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Vor kurzem sind wir mitten in

der Nacht aufgewacht. Gleichzeitig. Alle. Meine Frau, unsere drei Jungs und

ich. Es war wie ein Traum, aber auch nicht. Irgendetwas war uns zu Ohren

gekommen, aber wir konnten es nicht genau orten. Es war ein Geräusch, wie ein

Krachen, ein Klirren, ein Knall. Wir standen auf und stöberten durchs Haus. Als

wir in die Küche kamen, konnten wir unseren Augen kaum trauen. Der ganze Boden

war übersät mit Scherben und Splittern in einer großen roten Pfütze. Es

brauchte einen kleinen Moment, um die nachtbenebelten Gedanken zu sortieren…

Was war das? Traum oder Trauma?

Wir schauten uns an – wir

hatten das Gleiche gesehen. Ein Regal hatte sich von der Wand gelöst und ein

zweites mitabgerissen. Darin: Tassen und Tonteller. Teils Hochzeitsgeschenke

von vor über 20 Jahren, eine knapp so alte Whiskyflasche zum 50ten und Rotwein

vom letzten Besuch. Jetzt: Ein Haufen Scherben in einer Lache aus Wein. Toaster

darunter zerdeppert. Wir perplex mitten in der Nacht. Ohne viele Worte begannen

wir das Tohuwabohu zu beseitigen. Ein paar der dicken Flaschen hatten überlebt,

aber alles in allem waren die Erinnerungsstücke von einst ein großer

Scherbenhaufen. Tief einatmen.

Natürlich sind wir traurig.

Enttäuscht. Fragen uns, warum hat so ein Regal nach fünf Jahren einfach keine

Lust mehr an der Wand zu hängen. Wir sind sauer auf den Hersteller und irgendwie

auch auf Gott – und müde. Warum passiert das?, fragen wir uns und: Könnten wir

aus den Tonscherben irgendwas mit Mosaik machen, eine Tischplatte vielleicht

und wäre das ein schöner oder schmerzhafter Anblick eines Tages…

Und dann habe ich meine Frau

angesehen und wir haben einen zweiten Blick gewagt. Immer noch müde, wütend,

enttäuscht und traurig kam so etwas wie Dankbarkeit in Sicht. Danke, Gott, dass

es nachts passiert ist und niemand auf dem Platz unter dem Regal gesessen hat.

Danke, dass das Rot am Boden nur Wein war. Danke, für die Erinnerungen, die

bleiben. Danke, dass wir eine Küche haben und noch mehr Teller. Danke, Gott, dass

wir zusammenstehen können und auch in der dunklen Nacht anpacken und putzen bis

es sauber ist. Wir sind nicht immer dankbar und positiv. Aber je mehr Menschen

wir begegnen, die schwere Lebensreisen hinter sich haben, desto mehr können wir

auch mal kaputte Dinge aushalten.

Wir glauben an Gott, der

Leben und Sterben in der Hand hat. Der Schönheit und Ganzheit kennt und liebt,

aber dem auch Kaputtes und Scherben vertraut sind. Der nicht wegläuft, wenn es

schwer wird, wenn es hässlich wird und gemein. Sondern, der beisteht, mittrauert

und tröstet und manchmal sogar neue Wunder schaffen kann aus alten Wunden. Einen

Gott, der ein Mosaik erschaffen kann aus Scherben. Schönheit aus Tohuwabohu.

Wir glauben an Gott den

Schöpfer, der nicht nur Welten erschaffen kann, sondern auch ein neues Herz in

mir: „Schaff du mir, Gott, ein reines Herz und erneuere in meinem Inneren einen

beständigen Geist!“ (1)

In dieser Nacht ist uns

dieses Glaubensbekenntnis noch mal näher gerückt. Das Leid in mir und in dir –

das ist da. Und doch will ich ein neues Lied finden. Einen Lobgesang auf den,

der auch die Scherben meines Lebens in ein Kunstwerk verwandeln kann. Gott du

Schöpfer, schaffe neu. Ich bin gespannt auf unseren Weg, ebenso in den Scherben,

wie auch in der Schönheit – in meinen schweren und den guten Zeiten.

Einen wunderschönen Tag. Und

danke, ja danke, fürs Zuhören. Patrick Depuhl, Alpen.

(1) Das Buch, Psalm 51,12,

Bibelübersetzung von Roland Werner, SCM Verlagsgruppe, Witten.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58817_WDR3520220728Depuhl.mp3

  • 28.7.2022
  • Patrick Depuhl
  • © CCO Pixabay
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