Das Betthupferl

Kirche in WDR3 | 27.12.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

„Hier, das ist Dein Zimmer“, sagt Paula. Die Sechsjährige macht die Tür

zu ihrem Kinderzimmer auf. Ein weißes Bett mit rosafarbener Bettwäsche mit

Einhörnern drauf erwartet mich. Über dem Bett ein Regal mit Stofftieren und einer

Lichterkette aus Herzchen. Paula hat ihr Zimmer für mich freigemacht, damit ich

hier übernachten kann auf meiner Dienstreise. Dabei kennt sie mich gar nicht.

Und ich kenne sie auch noch nicht. Nur ihre Mutter, eine Kollegin.

Am Abend, als ich schlafen gehen will, entdecke ich ein selbstgemaltes

Bild auf dem Kopfkissen und in krakeliger Schrift steht da: „Herzlich

willkommen, Petra! Schlaf gut.“ Dazu Paulas Lieblingssüßigkeit als Betthupferl

und eine Flasche Wasser auf dem kleinen Hocker neben dem Bett. „Das hat Paula

alles ganz allein gemacht“, sagt Paulas Mama. „Auch das Bild.“ Ich bin gerührt.

Ein Kind, das mich noch gar nicht kennt, macht, dass ich mich an einem fremden

Ort geborgen und willkommen fühle.

Purer Luxus auf meiner Dienstreise. Für andere lebensnotwendig.

In diesem Jahr sind fast 1 Million Kinder und Erwachsene (1) nach

Deutschland gekommen, auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine. Und viele

Kinder, die hier leben, haben Willkommensbriefe und -geschenke für sie

gebastelt. Viele Familien sind zusammengerückt und haben spontan Zimmer

freigemacht für die Menschen aus der Ukraine. Ohne zu wissen, wie lange die

Geflüchteten bleiben würden. Wann sie zurück in ihre Heimat können. Ob

überhaupt. Aber erst einmal ist da ein Bett. Ein „Herzlich Willkommen, Ana,

Kristina, Denis und Artem!“-Schild, vielleicht auch ein Betthupferl, eine

Lichterkette und ein Stofftier.

Alles andere wird sich finden. Und viele Familien fragen die

geflüchteten Menschen erstmal: Was braucht ihr? Womit können wir euch helfen?

Manche haben Platz genug, damit die eigenen Kinder und die aufgenommenen

Kinder ihren eigenen Bereich haben. Rückzugsraum ist für alle wichtig.

Aber auch eine Übersetzerin, vielleicht auch eine psychologische

Beratung. Viele Kinder wollen rasch zur Schule und die Erwachsenen wollen

arbeiten. Es ist großartig, wie viele Menschen in diesem Jahr ihre Türen für

die geöffnet habe, die mit fast nichts hier ankommen. Oder die helfen,

Räumlichkeiten anderswo herzurichten und freizumachen. Ich würde mir wünschen,

dass das für alle gilt, die zu uns flüchten. Und dass die Behörden und Ämter

für alle Geflüchteten – gleich aus welchem Land sie zu uns kommen –

lösungsorientiert für die Menschen arbeiten. Dass alle lernen und arbeiten

dürfen und nicht zum Warten verdammt sind.

„Gott spricht: Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne

Obdach sind, führe ins Haus! Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn.“ (Die

Bibel, Jesaja 58,7)

Viele tun sich schwer damit, Menschen bei sich zu Hause und in den

eigenen vier Wänden aufzunehmen. Dafür gibt es gute Gründe. Und das ist völlig

in Ordnung. Es gibt genügend andere Möglichkeiten zu helfen: mit einer

Geldspende an eine der großen oder kleinen Hilfs-Organisationen zum Beispiel.

Oder man kann mitarbeiten bei einer ehrenamtlichen Initiative vor Ort, die sich

um Kleidung, Sprachunterricht, Begegnung, Schule, Arztbesuch und so vieles

andere kümmert.

Das Betthupferl und das Willkommensschild, die offenen Türen und Herzen,

die Spenden und das Mitmachen, das Mitgefühl und die tatkräftige Mithilfe,

damit Menschen, die ihren Lebensraum verloren haben, neue Heimat finden – all

das rührt Gottes Herz. Er weint mit den Traurigen und freut sich mit den

Fröhlichen, heißt es.

Momente der Geborgenheit wünscht Ihnen, Petra Schulze,

Rundfunkpfarrerin in Düsseldorf.

(1) Statistisches Bundesamt:

https://www.destatis.de/DE/Im-Fokus/Ukraine/Gesellschaft/_inhalt.html (Abruf 13.12.22)

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59851_WDR3520221227Schulze.mp3

  • 27.12.2022
  • Petra Schulze
  • © CCO Pixabay
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