Guten
Morgen!
Manche
bezeichneten ihr Zustandekommen als ein Wunder. Es sind die letzten Maitage des
Jahres 1934. Drei Tage lang kommen Delegierte aus fast allen deutschen
evangelischen Landeskirchen in der Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen
zusammen. Sie kommen aus ihren unterschiedlichen Konfessionen und Traditionen:
Reformierte, Lutheraner, Unierte. So unterschiedlich sie in ihrem theologischen
Denken sind, sie verbindet eine gemeinsame große Sorge: Die Sorge um den Weg
der Kirche im Nationalsozialismus. Adolf Hitler ist damals seit über einem Jahr
an der Macht. Das bringt die Delegierten in Barmen dazu, am letzten Tag ihrer
Konferenz – genau heute vor 88 Jahren – eine gemeinsame Erklärung zu
verabschieden. Sie wird zu einem der wichtigsten Texte der Evangelischen
Kirche.
Die
Barmer Theologische Erklärung ist das große Nein gegen den Versuch, die
evangelische Kirche in die menschenverachtende Gedankenwelt des
Nationalsozialismus einzugliedern, sie unter ihre Herrschaft zu zwingen. Die
Menschen, die da in Barmen zusammen sind, wollen nicht tatenlos zusehen, wie
ihre Kirche von den Nationalsozialisten vereinnahmt wird. Im Geist
evangelischer Freiheit verfassen sie diese theologische Erklärung und beziehen
damit klar Stellung gegen einen totalitären Staat. Kein Mensch und keine
weltliche Macht können für sich in Anspruch nehmen, letzte Geltung zu haben.
Das kann allein Gott. „Wir verwerfen die falsche Lehre“, so formulieren es die
Delegierten der evangelischen Kirchen in Barmen, „als gebe es Bereiche unseres
Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen
wären.“ Das ist ein starker Satz. Als Christ gehöre ich mit meinem Leben, meinem
Denken und Handeln zu Gott und bin letztlich ihm Rechenschaft schuldig.
In
den letzten Monaten erleben wir einen russischen Präsidenten, der für sich
absolute Macht in Anspruch nimmt, der glaubt, dass es in seiner Macht steht,
über Leben und Tod entscheiden zu dürfen; Die Sätze der Barmer Erklärung
scheinen heute so aktuell wie damals.
Gegen
den totalitären Anspruch eines Staates setzt sie den Gedanken der Freiheit, stellt
sich der Unterdrückung entgegen.
Die
Barmer Theologische Erklärung ist um die Welt gewandert. Viele Kirchen weltweit
berufen sich in ihrer Verfassung auf sie. Und sie hat immer wieder Menschen
darin unterstützt, für die Freiheit einzutreten. Sie wurde ein wichtiges
Dokument im Kampf gegen die Rassentrennung in Südafrika. Und vor wenigen Jahren
wehrten sich Christinnen und Christen auf ihrer Grundlage gegen Nationalismus,
Fremdenfeindlichkeit und die Spaltung der Gesellschaft unter Donald Trump.
Aber
wir dürfen auch nicht daran vorbeischauen, dass der Barmer Erklärung etwas ganz
Wesentliches fehlt. Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide hat es
einmal so auf den Punkt gebracht: „Aus jüdischer Sicht war Barmen ohne
`Erbarmen`“. Es ist überaus schmerzlich, dass Menschen jüdischen Glaubens damals
nicht im Blick waren, dass sie zu Antisemitismus zu Diskriminierung und
Verfolgung schweigt. Das müssen die evangelischen Kirchen heute, gerade wo
Judenfeindlichkeit wieder um sich greift, als Schuld bekennen – auch an einem
Geburtstag der Erklärung von Barmen.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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