
Musik
1: Choral Strophe 1
Titel:
Jesus Christus herrscht als König; Komposition: Johann Adam Hiller; Text: Philipp Friedrich Hiller; Interpret:
Kammerchor des Aachener Bachvereins; Leitung: Wolfgang Karius; Label: Carus;
LC: Z2323
Sprecherin
(overvoice):
Jesus Christus
herrscht als König,
alles wird ihm untertänig,
alles legt ihm Gott
zu Fuß.
Aller Zunge soll
bekennen,
Jesus sei der Herr
zu nennen,
dem man Ehre geben
muss.
Autor: Ein Lied wie aus der Zeit gefallen. Könige gibt es
nicht mehr viele. Sie herrschen nicht mehr, sie repräsentieren allenfalls. Es
ist ihnen nicht mehr alles untertänig. Jesus Christus herrscht als König? Wie
soll man sich das vorstellen?
Der
Text stammt aus dem 18. Jahrhundert, das war eine Zeit absoluter Monarchien. Demokratie?
Davon weiß der Choral noch nichts. Seine Herrschaftsvorstellungen sind noch
ganz andere. Hat dieses Lied uns heute noch etwas zu sagen? Und was soll das
wohl bedeuten, wenn jemand sagt: Da sind zwar Könige, die herrschen, aber
eigentlich herrscht Jesus Christus?
Sprecherin (Strophe 2):
Fürstentümer
und Gewalten,
Mächte,
die die Thronwacht halten,
geben
ihm die Herrlichkeit;
alle
Herrschaft dort im Himmel,
hier
im irdischen Getümmel
ist
zu seinem Dienst bereit.
Autor: Schon damals stimmte das nicht. Schon zur Zeit des
Pfarrers Philipp Friedrich Hiller, dem Dichter des Liedes, gaben die Mächtigen
keineswegs Jesus „die Herrlichkeit“, sondern eher sich selbst. Schon damals
waren bestimmt nicht alle Herrschenden auf der Erde „zu seinem Dienst bereit“.
Musik
1: Choral Strophe 3
Sprecherin
(overvoice):
Gott ist Herr, der Herr ist Einer,
und demselben gleichet keiner,
nur der Sohn, der ist ihm gleich;
dessen Stuhl ist unumstößlich,
dessen Leben unauflöslich,
dessen Reich ein ewig Reich.
Autor: Gegen allen Augenschein will Philipp Friedrich
Hiller die Machtverhältnisse im Himmel und auf Erden zurechtrücken. Es geht ihm
um die himmlische Herrschaft Gottes. Gott allein ist Herr – ganz egal, wer hier
auf Erden herrscht – und Jesus Christus ist ihm gleich. Hiller nennt seinen
Choral „Lied von dem großen Erlöser“. Er bezieht sich dabei auf den Brief des
Paulus an die Gemeinde in Ephesus. Dort ist von der überwältigend großen Kraft
die Rede, die Gott allen verleiht, die sich zu ihm bekennen:
Sprecher:
Diese
Kraft ließ er auch an Christus wirksam werden: Er hat ihn von den Toten
auferweckt und ihn an seine rechte Seite gesetzt – im Himmel, hoch über Mächten
und Gewalten, Kräften und Herrschaftsbereichen. (Eph 1,20-21)
Autor: Das Oben und Unten ist klar, sagt Paulus.
Himmelhoch über allem, was auf dieser Erde Macht und Gewalt ausübt, ist Gottes
Macht. Auch die Mächtigen der Erde, auch die absoluten Herrscher, sind ihr
absolut unterlegen – ob sie das nun wissen oder nicht, ob sie wollen oder
nicht.
Könige
herrschen zwar heute nicht mehr. Aber es gibt Diktatoren, die ihr Volk nicht
weniger unterdrücken als die Monarchen damals. Einer dieser Herrscher hat sein
Nachbarland brutal überfallen: Er kann es nicht ertragen, dass dort die
Freiheit als zarte Pflanze keimt. Besonders empörend ist, dass der russische Diktator
Putin einen Kirchenführer zur Seite hat, der seine Lügen und Gewaltverbrechen
religiös rechtfertigt. Er will bestimmen, was das Heil ist und was die
Erlösung.
Christus
hat uns erlöst, nur er herrscht –
davon ist Hiller überzeugt. Aus dieser Überzeugung lässt sich die Kraft zur
Unabhängigkeit und zum Widerstand gewinnen.
Musik
1: Choral Strophe 5/6,
Sprecherin
(overvoice):
Nur in ihm, o Wundergaben,
können wir Erlösung haben,
die Erlösung durch sein Blut.
Hört’s: das Leben ist erschienen,
und ein ewiges Versühnen
kommt in Jesus uns zugut.
Jesus Christus ist der Eine,
der gegründet die Gemeine,
die ihn ehrt als teures Haupt.
Er hat sie mit Blut erkaufet,
mit dem Geiste sie getaufet,
und sie lebet, weil sie glaubt.
Autor: Der Liederdichter weiß: Das Oben und das Unten sind
aufeinander bezogen, Himmel und „irdisches Getümmel“ haben etwas miteinander zu
tun. Krankheit, Schmerzen, Not und Leiden – all das gibt es auf der Erde. Er
hat es selbst erlebt:
Sprecherin
(Strophe 8):
Zwar auch Kreuz drückt Christi Glieder
Hier auf kurze Zeiten nieder
Und das Leiden geht zuvor.
Nur Geduld, es folgen Freuden;
Nichts kann sie von Jesus scheiden,
und ihr Haupt zieht sie empor.
Autor: Ist das nicht bloß eine Vertröstung auf ein besseres
Jenseits? Dient das nicht dazu, die Armen ruhig zu halten, damit sie die
Ungerechtigkeiten klaglos hinnehmen, unter denen sie leiden? Klingt so vielleicht
das „Eiapopeia vom Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den
großen Lümmel“? So beschreibt es Heinrich Heine. Und fügt hinzu: „Ich kenne die
Weise, ich kenne den Text, ich kenne die Herren Verfasser. Ich weiß, sie
tranken heimlich Wein und predigten öffentlich Wasser.“ Und wenig später prägt
Karl Marx sein bekanntes Wort von der Religion als „Opium des Volks“. Der
Glaube also als Mittel der scheinbar angenehmen Betäubung, das die schlimme
Wirklichkeit vergessen lässt. Und Karl Marx prägte sein bekanntes Wort von der
„Religion als Opium des Volks“ – Glaube an ein besseres Jenseits als angenehme
Droge: Die Ausgebeuteten sollen sich mit der Ausbeutung abfinden und nicht
aufmucken.
Philipp
Friedrich Hiller war kein Heuchler, der öffentlich Wasser predigte und heimlich
Wein trank. Er war ein frommer Pietist, der sein Lied aus tiefer
Glaubensüberzeugung geschrieben hat. Vielleicht hat ihn getröstet, dass alles
Leiden begrenzt ist. Denn er kannte Not und Krankheit: Das magere Pfarrergehalt
reichte kaum, um seine große Familie mit elf Kindern zu versorgen. Mit Anfang
50 erkrankte er an einem Halsleiden, konnte fast nicht mehr sprechen und nicht
mehr predigen. Darunter hat er, der Pfarrer aus Berufung, sehr gelitten. Doch der
heutige Choral ist eine Reaktion auf die Krankheit, denn er verlegte sich aufs
Schreiben und verfasste zahlreiche Lieder. Elf Strophen des bekanntesten stehen
im Evangelischen Gesangbuch. Das Original hat 26 Strophen. Da wird besonders
deutlich, was Hiller von den Mächtigen seiner Zeit gehalten hat:
Sprecherin:
Trachten irdische Monarchen,
dieses Herdlein anzuschnarchen;
o sein Hirte lacht dazu.
Er lässt diese kleinen Großen
sich die Köpfe blutig stoßen,
und den Schafen gibt er Ruh.
Die Herrscher
seiner Zeit? Das sind bloß die „kleinen Großen“. So sieht der Dichter die Welt
mit den Augen des Glaubens. Sein Gottesbild entspricht den Machtstrukturen
seiner Zeit, und doch: Er blickt hinter die Kulissen des Welttheaters. Was er
da sieht, wäre nicht auszuhalten ohne das tiefe Vertrauen, das in diesem
Glauben gründet. Diesen Glauben will er teilen, mitteilen:
Sprecherin (Strophe
11)
Ich
auch auf der tiefsten Stufen,
ich
will glauben, reden, rufen,
ob
ich schon noch Pilgrim bin:
Jesus
Christus herrscht als König,
alles
sei ihm untertänig;
ehret,
liebet, lobet ihn!
Musik 2 (instrumental)
Album: Klingendes
Gesangbuch. Von Anfang bis Ende; Track 13; Label: MS Classic 2008; LC: 10551.
Redaktion:
Landespfarrer Dr.
Titus Reinmuth