„Sehschule“ mit dem Blick für mehr Barmherzigkeit: Zentrale Bonner Reformationsfeier warnt vor einer „gnadenlosen Gesellschaft“ – mehr als 1.000 Menschen feierten in der Kreuzkirche

Mit einem stimmungsvollen Gottesdienst am Montagabend in der mit 1.000 Menschen voll besetzten Kreuzkirche haben die evangelischen Christen in Bonn und der Region gemeinsam mit vielen Menschen aus der Stadtgesellschaft den Reformationstag gefeiert.

Reformationstag 2022 in Bonn: Sandra da Vina (v.l.), der Bonner Superintendent Dietmar Pistorius und Gastprediger Bischof Dr. Matthias Ring (Foto: Johanna Nolte)

In seiner Predigt rief der alt-katholische Bischof Dr. Matthias Ring zu mehr Barmherzigkeit in der Gesellschaft auf. Es gehe darum, „auf die verschwenderische und unverdiente Barmherzigkeit Gottes mit der gleichen Barmherzigkeit anderen gegenüber zu antworten“. Das sei für ihn eine zentrale Erkenntnis Martin Luthers und Botschaft des Reformationstages.

Barmherzigkeit sei aber kein Freibrief für die Täter und Kriegsverbrecher dieser Welt, warnte der Bischof in seiner Gastpredigt. „Nach meiner Erfahrung werden Konflikte immer dann gnadenlos, wenn man im anderen nicht mehr den Menschen sehen kann, der mich anrührt, sondern – um es vorsichtig auszudrücken – nur noch ein Problem.“ Das gelte im Großen wie im Kleinen. Auch im Angriffskrieg Russlands in der Ukraine. Auch für das schwierige Verhältnis von Israelis und Palästinensern.

Ring rief dazu auf, sich „nicht von einem Strudel des Hasses mitreißen zu lassen“. Barmherzigkeit sei „eine Frage des Sehens“ und gerade die Kirchen, die Christinnen und Christen seien aufgerufen, eine „Sehschule in unserer Gesellschaft zu sein, indem wir uns dafür einsetzen, jeden einzelnen Menschen in den Blick zu nehmen“, betonte Bischof Ring. (Hier seine Predigt zum Nachlesen: Reformationstag Kreuzkirche Bonn 2022-EF )

Überraschender Einstieg mit Poetry Slam durch Sandra da Vina und Klavier: die zentrale Bonner Reformationsfeier 2022 in der Kreuzkirche am 31. Oktober (Foto: J. Gerhardt)

Poetry Slam im Gottesdienst mit Sandra da Vina

Die Fernsehbekannte Poetry Slammerin Sandra da Vina gab auf ihre ganz eigene herzlich-persönliche Art nachdenkliche Impulse zum Leben in einer an vielen Stellen auch für sie gnadenlosen Gesellschaft. Eine Ursache liege auch darin, wie unbarmherzig Menschen mit sich selbst seien. „Da richte und verliere ich mich selbst“ beim Scrollen durch die social-media Weiten einer anscheinend perfekten Welt. „Im echten Leben brauchen wir Lösungen, dass niemand ins Abseits gerät: „Nur wer gemeinsam trägt, wird aufrecht schreiten!“ appellierte Sandra da Vina, übrigens aufgewachsen in Meckenheim, für mehr „gelebte Gemeinschaft, die aufeinander schaut und so mit Hoffnung Zukunft baut“. (Hier der Impuls „Gnadenlos“ von Sandra da Vina zum Nachlesen: gnadenlos_SandraDaVina )

Superintendent Pistorius: Aufruf zu mehr Gemeinschaft in der Stadt

Für den Bonner Superintendenten Dietmar Pistorius müssen die Kirchen mehr denn je „ein Raum sein für Glaubende wie Fragende und Zweifelnde und auch Nicht-Glaubende, die uns dennoch verbunden sind“. Diese Einladung gelte besonders am Reformationstag. „Wie gnadenlos Menschen gerade auch in Politik inzwischen beschimpft, bedroht und angegriffen werden, erfüllt mich mit großer Sorge“. Immer mehr Menschen machten „individuelle Interessen und Bedürfnisse zum Maßstab des Allgemeinen“ und meinten daraus ableiten zu können, das Recht zu haben, diese dann durchzusetzen. „Dieser Entwicklung müssen wir in unserer Stadt gemeinsam etwas entgegensetzen: mehr Barmherzigkeit.“

OB und Stadtgesellschaft feierten mit

Zur zentralen Bonner Reformationsfeier hatte sich viele Vertreterrinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft aus Bonn und der Region sowie der Ökumene in der evangelischen Stadtkirche am Kaiserplatz versammelt, unter ihnen Oberbürgermeisterin Katja Dörner, Universitätsrektor Prof. Dr. Michael Hoch und Margaret Traub, Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde, Polizeipräsident Frank Hoever, der stellvertretenden römisch-katholische Stadtdechant Bernd Kemmerling sowie die Bonner MdB Katrin Uhlig und viele Vertreter aus dem Landtag und Stadtrat, der Kultur und Wirtschaft.

Berührende Musik

Reformationschoräle live durch Posaunenchöre aus Bonn und der Region: Stimmungsvolle Begrüßung der Besucher zur Reformationsfeier vor der Kreuzkirche (Foto: J. Gerhardt)

Der Kammerchor der Kreuzkirche VOX-Bona unter Leitung von Karin Freist-Wissing und Stefan Horz an der Orgel gestalteten den Gottesdienst musikalisch, unter anderem mit einem berührenden ukrainischen Liebdeslied. Bläser aus dem ganzen Kirchenkreis hatten die Besucher zum Eingang schon festlich mit Reformationschorälen auf dem Vorplatz begrüßt. Wie jedes Jahr mündet die Feier in einen munteren öffentlichen Empfang für die Stadtgesellschaft in der Kirche, auch dieses Jahr wieder mit Musik durch den Beueler Kantor Hubert Arnold am Akkordeon. Ein Fest nachdenklich wie inspirerend für die Menschen unserer Stadt und Region. Bis in den späten Abend hinein herzlich mit Trank & Speis bewirtet vom Team des Kirchenpavillons .

Zum Nachschauen

Die Bonner Reformationsfeier wurde wie immer live im Internet von unserem Medienpartner Caps TV übertragen. Hier der Gottesdienst zum Nachschauen: https://www.youtube.com/watch?v=n7cXMwienOs

Zum Einstieg haben wir leider Tonausfall. Das bitten wir zu entschuldigen. 

(31.10.2022 / Text: J. Gerhardt)

  • 31.10.2022
  • Red
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