Autor: Es
gibt Lieder, die bringen einen heilsam anderen Klang in die Welt. Mitten im
Lärm der Zeit stimmen sie einen ungewohnten Ton an. Und lassen etwas in mir, in
meiner Seele schwingen.
Ein solches Lied ist für mich
der Choral „Wir glauben Gott im höchsten Thron“. Es stammt aus dem Jahr 1937,
ist so alt wie meine eigene Mutter. In ihm spüre ich etwas von dem Glauben, den
ich von meinen Eltern und Großeltern gelernt habe – und von dem tiefen
Geheimnis Gottes.
Musik 1: Choral, Strophe 1
Wir glauben Gott im höchsten
Thron; Text: Rudolf Alexander Schröder; Musik: Christian Lahusen; Interpreten:
Das Solistenensemble; Leitung: Gerhard Schnitter; Album: Der du die Zeit in
Händen hast; Label: 2019 haenssler CLASSIC; LC: 06047
Autor: Schon
die Melodie berührt mich. Christian Lahusen hat sie komponiert.
Sie besteht nur aus halben Noten.
Sie fließt ruhig dahin, wird
weder schneller, noch langsamer, wiederholt sich.
Es wirkt fast, als würden wir
mithineingenommen in die innere Bewegung Gottes.
In den tiefen Rhythmus von
Gottes Ewigkeit.
Eine majestätisch-würdevolle
Stimmung.
1937 klingt das wie ein
bewusster Gegenakzent zu den Kriegsmärschen und Kampfliedern, die damals im
Deutschen Reich wieder gesungen werden.
„Wir glauben Gott im höchsten
Thron“ – diese Melodie handelt von einem ganz anderen Herrscher: dem wahren
Herrn der Welt.
In drei Anläufen möchte ich
versuchen, mich mit Ihnen dem Geheimnis des Lieds anzunähern – und darin
zugleich dem Geheimnis Gottes.
Da ist erstens die Form: Der
Choral ist ein gesungenes Bekenntnis.
Nun haben Bekenntnisse sehr
verschiedene Funktionen:
Ich vergewissere mich, was ich persönlich glaube.
Wir drücken gemeinsam aus,
was uns als Gemeinschaft verbindet.
Und wir legen Zeugnis ab
gegenüber anderen.
All das kennen Sie vielleicht
auch von Bekenntnisliedern im Alltag – etwa im Stadion:
„Mer stonn zusammen“ in Köln,
„Die Seele brennt“ in Gladbach, „Wir halten fest und treu zusammen“ in
Dortmund.
In diesem Choral geht es aber
noch um etwas anderes: um das Lob Gottes.
Das ist es, was uns als Christinnen
und Christen ausmacht: Wir glauben, dass Gott regiert. Darauf hoffen wir, davon
singen wir – auch wenn die Welt damals wie heute oft anders aussieht: „Wir
glauben Gott im höchsten Thron.“
Womit wir – zweitens – beim
Inhalt wären. Das Lied greift zurück auf uralte Bekenntnisse der Christen aus
den ersten Jahrhunderten. Dort wie hier wird Gott „trinitarisch“ beschrieben –
als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Das meint: Gott ist in sich selbst eine Art
Familie, ein Beziehungswesen – und umgibt mich so von allen Seiten. Gott ist
über mir, neben mir, in mir. Und: Gott ist ein Liebesgeschehen. Gott ereignet
sich.
Zweimal wird in dem Choral
das Geheimnis der Trinität Gottes durchschritten.
Musik 2: Choral, Strophen 1-2
Sprecherin (overvoice):
1.
Wir glauben Gott im höchsten Thron,
wir
glauben Christum, Gottes Sohn,
aus
Gott geboren vor der Zeit,
allmächtig,
allgebenedeit.
2.
Wir glauben Gott, den Heilgen Geist,
den
Tröster, der uns unterweist,
der
fährt, wohin er will und mag,
und
stark macht, was daniederlag.
Autor: Auffällig
ist der Einstieg, der dreimal vorkommt: „Wir glauben Gott.“
Glauben gibt es nur in der
Gemeinschaft mit anderen: „Wir
glauben“.
Ohne den Glauben meiner
Eltern, Geschwister und vieler anderer gäbe es meinen Glauben nicht – auch wenn
mir niemand das Glauben abnehmen kann.
Und Glauben wird hier als
Vertrauen verstanden.
Es heißt nicht „Wir glauben an Gott“,
sondern „Wir glauben Gott“.
So wie wir das manchmal zu ganz
besonderen Menschen sagen: „Ich vertraue dir.“
Das meint Glauben.
Die ersten beiden Strophen
betonen besonders die Gottheit Gottes.
Es geht darum, wer Herr der
Geschichte ist und die Welt in seinen Händen hält.
Nämlich Gott allein. Das gilt
es immer wieder neu zu betonen angesichts der Zerstörung, die menschliche Herrscher
damals wie heute über andere bringen. Ihre Macht ist begrenzt.
Gerade in schwierigen Zeiten
tut es mir gut, mich an Gottes Gottheit erinnern zu lassen. Das rückt meine
Perspektiven heilsam zurecht.
Ein zweites Mal wird das
Geheimnis der Trinität Gottes durchschritten. Diesmal noch stärker in seiner
Zuwendung zu uns.
Musik: Choral, Str. 3+4
Sprecherin (overvoice):
3.
Den Vater, dessen Wink und Ruf
das
Licht aus Finsternissen schuf,
den
Sohn, der annimmt unsre Not,
litt
unser Kreuz, starb unsern Tod.
4.
Der niederfuhr und auferstand,
erhöht
zu Gottes rechter Hand,
und
kommt am Tag, vorherbestimmt,
da
alle Welt ihr Urteil nimmt.
Autor: Vom Vater wird hier nur kurz bekannt, dass er „das
Licht aus Finsternissen schuf“.
Die ganze Schöpfung ist darin
inbegriffen: in der Erschaffung des Lichts.
Es drückt die tiefe Hoffnung
aus, dass am Ende einmal alles Dunkle vergehen wird.
Gott hat die Macht dazu. Ein
Wink, ein Ruf – und was dunkel war, wird hell.
Dann wird ausführlich das
Wirken des Sohnes beschrieben – und zwar als Leiden „für uns“:
„litt unsre Not, trug unser
Kreuz, starb unsern Tod.“
Das ganze Leben Christi konzentriert auf zwei Worte:
der „niederfuhr und auferstand“.
Gott
macht sich klein, um uns groß zu machen.
Geht
bildlich gesprochen hinunter, um uns hinaufzuführen.
Und der Heilige Geist, die
Geisteskraft, wie manche sagen?
Sie stiftet Gemeinschaft
unter uns: „lässt Christen Christi Kirche
sein.“
Und sie bewahrt uns bis ans
Ende, wenn wir in Christus selbst einmal Gott schauen werden, so heißt es in
der letzten Strophe.
Musik:
Choral, Strophe 5
Sprecherin
(overvoice):
5.
Den Geist, der heilig insgemein
lässt
Christen Christi Kirche sein,
bis
wir, von Sünd und Fehl befreit,
ihn
selber schaun in Ewigkeit.
Amen.
Autor: Ein dritter Anlauf, um das Lied zu verstehen: der
Autor.
Der Liedtext wurde verfasst
von Rudolf Alexander Schröder.
Schröder war ein echtes
Multitalent: Schriftsteller, Übersetzer,Dichter, Architekt und Maler.
Er begründete u.a. die
Zeitschrift „Die Insel“ mit, aus der später der Insel-Verlag hervorging.
Früh kritisierte er den
Ungeist der NS-Diktatur.
Ende 1935 zog er sich aus
Bremen in das abgeschiedene Bergen in Bayern zurück: in die innere Emigration –
auch wenn er sich mit den Nazis verschiedentlich arrangierte.
So wurde er 1938 von der Stadt
Bremen ausgezeichnet; zugleich erhielt er 1941 Vortragsverbot.
Sein Lied, 1937 verfasst, ist
ein klares Bekenntnis gegen Größenwahn, Menschenverachtung und totalitäres
Denken – und zwar gerade, indem er einfach nur von Gott redet.
Kein Mensch sitzt im höchstem
Thron. Sondern allein Gott.
„Wir glauben Gott im höchsten Thron“ – das Lied wird weiterhin in unseren Kirchen
gesungen, als Bekenntnis unseres Glaubens.
Ich kann das nur empfehlen.
Den Herrschenden als Mahnung.
Den Leidenden als Hoffnung.
Und uns allen, damit wir uns
nicht abfinden mit der Welt, wie sie ist, und Kraft finden, um aus Glauben zu handeln.
Glauben und Handeln, „Mystik
und Widerstand“, beide gehören unlöslich zusammen.
Beides wird heute dringend
gebraucht.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth