Es ist halb acht morgens. So
ungefähr. Mein Kleiner und ich sind auf dem Weg zum Kindergarten. Ich bin
ziemlich gestresst. Wir sind ein bisschen spät dran. Heute hat alles mal wieder
länger gedauert: Frühstück, Anziehen. Beim Zähneputzen das T-Shirt versaut.
Ausziehen. Wieder anziehen. Das dauert. Und das Büro wartet. Ich gebe ein bisschen
mehr Gas. Versuche, die verlorene Zeit wieder hereinzuholen. Radio an.
Nachrichten: Kriegsnachrichten. Klimawandel. Corona-Befürchtungen.
Energiepreise. Ach nee. Aus damit. Nicht am frühen Morgen. Stattdessen gehe ich
im Kopf lieber schon mal die Dinge durch, die mich gleich auf der Arbeit
erwarten. Plötzlich ein lauter Seufzer hinten vom Kindersitz. Was ist? Frage
ich. Ach Papa, sagt mein Kleiner und seufzt noch mal, was haben wir doch für
ein schönes Leben! Haben wir? Denke ich. Eben noch kam mir alles ziemlich
düster vor. Und unerfreulich. Auf „schön“ wäre ich im Moment nun wirklich nicht
gekommen. Wie kommst du darauf? Und er erzählt von der Sonne, die so schön
scheint. Und auf dem Weg zum Auto hat er die Vögel gehört. Die haben gesungen.
Ganz toll war das. Gleich im Kindergarten wird er spielen. Und wir beide, er
und ich, überhaupt die ganze Familie, wir haben uns lieb. Ein schönes Leben.
Ach so. Sage ich. Und bin auf Knopfdruck neidisch. Die Sonne scheint wirklich
wunderbar, die Vögel haben wirklich toll gesungen und es ist einfach ein
schöner Tag. Und ich habe von alldem nichts gemerkt. Weil ich mich in meinem
kritischen Erwachsenenkopf auf andere Dinge konzentriere. Ich suche und finde Sorgen
und Probleme. Und die Sorgen finden mich. Was nicht gut läuft liegt immer obenauf.
Ich sehe nicht das halbvolle, sondern das halbleere Glas. Und so sieht es für
mich immer nach November aus. Obwohl es Frühling ist. Für ihn nicht. Er ist
dankbar für das, was schön ist. „Lobe den Herrn meine Seele und vergiss nicht,
was er dir Gutes getan hat.“ So heißt es in einem alten Psalm in der Bibel. Mir
fällt das schwer. Weil das Schlechte sich in meinem Kopf so breit macht und
sich aufdrängt, passiert es mir immer wieder, dass ich das Gute einfach nicht
wahrnehme. Aber es ist doch da. Mitten in der Traurigkeit. Mitten in der Sorge.
„Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.“ Schwer für mich. Aber: Der kleine
Philosoph hinter mir im Kindersitz schafft das spielend. Ein bisschen bin ich
neidisch. Und dankbar, dass er es in solchen Momenten schafft, mich in seine
Welt mitzunehmen. Und dann lächle ich. Für einen Moment. Selbst in solchen
Zeiten.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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