Warten können

Kirche in WDR3 | 15.12.2021 | 00:00 Uhr

geänderte Wiederholung vom 12.12.2012

Guten

Morgen.

Ob

die Klingel wohl kaputt ist? Leah verlässt die Wohnung, rennt die Treppe

runter, macht die Haustür auf und klingelt – bei sich selbst. Ah, ja, sie kann

es bis hier unten hören, oben in ihrer Wohnung läutet es. Noch ein paar Mal

drücken, ja, ja, doch die Türklingel funktioniert. Schnell wieder rauf. Nicht

dass er grad kommt, wenn sie noch im Hausflur ist. Leah ist nervös. Wann kommt

er denn endlich… ob er vielleicht versucht hat, anzurufen? Hat sie ihr Smartphone

vielleicht aus Versehen stumm geschaltet? Oh Gott, wenn er nach dem Weg fragen

wollte und sie ist nicht rangegangen… Das Smartphone aber zeigt keinen „Anruf

in Abwesenheit“, auch keine Nachricht im Messenger an. Halb sechs wollte er da

sein. Jetzt ist es schon fast viertel vor sechs. Wenn er nun doch nicht kommt?

Wenn er es sich anders überlegt hat? Gut, dass er nicht sieht, wie sehnsüchtig

sie wartet, wie groß ihre Hoffnung ist. Mit ihm soll alles anders, alles gut

werden.

Warten

– das kann furchtbar sein. Warten, das ist nicht nur täglich ein Türchen am

Adventskalender öffnen und auf die Geschenke am Heiligen Abend hinfiebern.

Warten – das wissen Kinder und Erwachsene, kann große Schmerzen bereiten. Gerade

in den letzten zwei Jahren der Corona-Pandemie macht es uns unruhig: Warten auf

Entscheidungen der Regierung, den Impftermin. Warten – dass wir uns wieder

unbeschwert begegnen können. Dass wir einander im Krankenhaus besuchen können.

Das

deutsche Wort „warten“ kommt von „auf der Warte wohnen“. Die „`Warte` ist der

Ort der Ausschau, der Wachtturm. Warten meint also: Ausschau halten, ob jemand

kommt, umherschauen, was alles auf uns zukommt.“ (Anselm Grün) Manchmal ist es

ein einsames, vergebliches Warten dort oben auf dem Turm.

Die

Bibel ist voller Geschichten vom Warten. Kinderlose warten darauf, endlich

schwanger zu werden. Menschen werden getrennt durch List, Deportation und Krieg

und vermissen einander. Liebenden werden lange Wartezeiten auferlegt, bis sie

zusammen kommen können. Und alle warten auf den Messias. Den Retter der Welt,

den Gott versprochen hat. Mit ihm soll alles anders, alles gut werden.

Und

wenn das lang Ersehnte dann endlich da ist – dann müsste doch eigentlich

unbändige Freude ausbrechen. Denn am Ende des langen Wartens steht doch

eigentlich das, weswegen sich das Warten lohnt: die Freude. Und hier kommt dann

die zweite Bedeutung des deutschen Wortes „warten“ ins Spiel. Warten kann auch

heißen: „auf etwas Acht haben, etwas pflegen“.

Wer

wartet, ist manchmal blind für das, was zu ihm kommen will. Wenn ich auf den

Traumprinzen oder die Traumprinzessin warte, habe ich oft eine so feste

Vorstellung davon wie er oder sie sein soll, dass ich die wahre Liebe übersehe.

Wenn

ich immer warte, dass es endlich einen besseren Job, eine schönere Wohnung oder

überhaupt ein schöneres Leben für mich gibt, verpasse ich womöglich die

Sternstunden des Augenblicks. Warten im Advent – das heißt achtsam Ausschau

halten nach dem, was zu mir kommen will oder schon längst da ist. Ich habe es

nur noch nicht bemerkt.

Warten

im Advent, das heißt: den Schmerz des Wartens annehmen.

Denn

er zeigt mir, wonach mein Herz sich sehnt.

Die

Hoffnung pflegen.

Und

Warten im Advent – das heißt achthaben auf die Zeichen, die Gott uns sendet.

Die uns den Weg weisen zu dem, was uns und die Welt rettet.

Spannende

Entdeckungen „auf der Warte“ im Advent wünsche ich Ihnen.

Es

grüßt sie, Petra Schulze aus Düsseldorf.

Literatur:

Anselm

Grün, Weihnachten? Einen neuen Anfang feiern, Freiburg 1999, S. 16f.

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/56965_WDR3520211215Schulze.mp3

  • 15.12.2021
  • Petra Schulze
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