„Damit es aufgeht…“

Das geistliche Wort | 03.04.2022 | 00:00 Uhr

Autorin: Ich sehe den kleinen Milchtopf noch heute auf dem

Herd stehen, in der Küche meiner Großeltern. Es ist Samstagmorgen. Heute Mittag

wird es Hefeklöße geben. Wir Enkelinnen lieben sie, so ist unsere Vorfreude entsprechend

groß. Doch wir wissen auch: Bis zum Essen wird es noch lange dauern. Ein

Hefeteig braucht Zeit.

Wir sitzen auf der Küchenbank

und sehen zu, wie Oma nach kurzer Zeit die Milch vom Herd nimmt, sie in die

große Porzellanschüssel gibt, Hefe hinein bröckelt und mit einer Prise Zucker zum

Vorteig anrührt. Jetzt gilt es das erste Mal zu warten. Bläschen müssen

sichtbar werden, bevor Oma dann

das Mehl zugibt, alles zu einem Teig knetet und diesen so lange zwischen ihren

Händen hin und her schlägt, bis sie mit seiner Festigkeit zufrieden ist. Dann

deckt sie die Schüssel mit einem Geschirrtuch

ab und stellt sie auf die Fensterbank. „Jetzt

muss er gehen“, sagt sie dabei, so als wolle sie es auch dem Teig sagen, und mahnt

uns Kinder streng: „Nicht reingucken und vor allem: Fenster und Türen

geschlossen halten, bloß kein Luftzug – damit er aufgeht!“ Jetzt ist richtig Geduld

angesagt. Bis wir – das ist unser Ritual – unter das Geschirrtuch luken dürfen

und dann hoffentlich entdecken, dass der Teig sein Volumen vervielfacht hat und

die Schüssel fast überquillt.

Heute weiß ich

natürlich, dass es an den Hefepilzen liegt, die vom Zucker gefüttert den Teig

luftig und fluffig machen. Und doch ist der Anblick eines aufgegangenen Teigs für

mich noch immer etwas Besonderes, jedes Mal ein kleines Wunder. Dass da in und

unter meinem Tun etwas aufgeht. Unverfügbar. Einfach so. Es ist wie ein Stück

Verheißung mitten im Alltag.

Musik:New Beginning

Text, Komposition, Interpretin: Judy Bailey; Album: Travelling; Label: Gerth Medien; LC: 13743

Autorin: Im

Neuen Testament erzählt Jesus auch eine Teig-Geschichte. Nicht von Hefe-, aber

von Sauerteig. Den eine Frau mengt wie es damals viele taten, wie es üblich war.

Ein alltägliches Tun und doch für Jesus erwähnenswert, ja, gleichnisfähig.

Sprecher: Und wiederum sprach Jesus: Womit soll ich das

Reich Gottes vergleichen? Es gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und

unter drei Scheffel Mehl mengte. Bis es ganz durchsäuert war.

Autorin: Schaut

hin, sagt Jesus: Hier leuchtet das Reich Gottes auf. Im Brotbacken dieser Frau,

in einem gewöhnlichen Vorgang des Lebens. So wirkt Gott.

Nun wird hier in

der biblischen Geschichte nicht nur irgendwie gebacken, sondern im großen Stil.

Drei Scheffel Mehl, so erzählt das Lukasevangelium (Lk 13,21), mengt die Frau

unter den Sauerteig. Aus dem wenigen Teig zu Beginn wird viel, am Ende weit

über 40 Kilo Brot. Brot, das für mehr als 150 Personen ausreicht. Ob ein großes

Familien- oder Dorffest ansteht? So backt doch niemand, der nur an sich selbst

denkt. So kann nur jemand backen, der oder die mit dem Sauerteig auch sich

selbst einbringt, gleichsam einmischt: seine Geduld, seine Fürsorge, seine

eigenen Gaben. Für andere.

Wie dieser Teig, sagt

Jesus, wirkt Gott in unserer Welt: als treibende Kraft. Da, wo Menschen

miteinander wohnen und leben, arbeiten und leider auch leiden und hungern

müssen. Menschen tun etwas, bringen sich geduldig und fürsorglich ein, so wie

diese Frau im Gleichnis. Aber dann kommt noch etwas hinzu, damit es aufgeht.

Geheimnisvoll, nicht wirklich verfügbar, nicht immer machbar. Überall da lassen

sich die kleinen und großen Wunder Gottes entdecken, schafft das Reich Gottes

sich Raum.

Anders als die Reiche und Mächte dieser Welt. Mit einer ganz anderen

Vorstellung von Macht und Kraft und Herrlichkeit. Ein Wachsen und Aufgehen ohne

Kampf und Krieg, Korruption und Rivalität. Allein durch die Kraft eines

friedlichen Wachstums von unten her. Vorangetrieben durch die schöpferische,

versöhnende und heilende Macht Gottes.

Wie es im Buch des Propheten Jesaja heißt: „Gleichwie Gewächs aus der Erde

wächst und Samen aufgeht, so lässt Gott, der Herr, Gerechtigkeit aufgehen und

Ruhm vor allen Heidenvölkern.“ (Jes 61,11)

Musik: New Beginning

Text, Komposition, Interpretin: Judy Bailey; Album: Travelling; Label:

Gerth Medien; LC: 13743

Autorin: Für das Reich Gottes einstehen, für seinen Traum

mit dieser Welt, dazu braucht es Menschen, wie die Frau im Gleichnis. Menschen,

die den Teig, die eine Sache in die Hand nehmen. Menschen, die sich einmischen

und mit Geduld und Beharrlichkeit daran mitarbeiten, dass aufgeht, was Gott

verspricht, zum Beispiel Gemeinschaft und Gerechtigkeit.

Davon erzählt

eine weitere Brotgeschichte im Neuen Testament. Auch sie geht nicht auf wie

eine Rechnung aufgeht, sondern anders. Jene Geschichte von den fünf Broten und

den zwei Fischen, von denen 5000 Menschen satt werden, und anschließend sogar

noch etwas übrig bleibt. 12 Körbe. Eine Geschichte, an deren Ende eine Art Fest

steht.

Für mich ist auch

das eine Reich-Gottes-Geschichte. Alle vier Evangelien erzählen sie, manche

sogar zweimal. In dieser Geschichte ist alles anders, als wir es kennen.

Während bei uns das Brot der einen so oft auf Kosten anderer geht, und diese

sehen müssen, was sie kriegen können, fängt hier alles damit an, dass Jesus

hinsieht, nicht nur äußerlich die Volksmenge sieht, sondern tiefer sieht, auch

ihren Hunger und ihre Sorgen.

Nach einer

Predigt, die Worte sind nicht überlieft, wollen die Jünger die Menge

wegschicken, damit sie sich in den Dörfern etwas zu essen kaufen. (Mk 6,36)

Doch für Jesus gehören Wort und Brot und Tat zusammen. Also fordert er die

Jünger auf: Gebt ihr ihnen zu essen. So lässt

er sie nachsehen, wie viele Vorräte da sind. Fünf Brote und zwei Fische – das

scheint nicht genug zu sein. Jedenfalls nicht genug, um sie herauszugeben und

zu teilen. Die Jünger schätzen, man bräuchte 200 Silbergroschen, um für so

viele Menschen Brot zu kaufen. Unmöglich.

Dennoch: Jesus

fordert die Menschenmenge auf, sich in Tischgruppen hinzusetzen. Aufs grüne Gras,

obwohl der Ort doch öde ist. Ob die Leute für einen Moment an die grünen Auen

aus Psalm 23 denken?

„Der HERR, ist

mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und

führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf

rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern

Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“

Ob sie sich so

hineinversetzten in die Rettungs- und Hoffnungsgeschichte ihrer Vorfahren? Wie

Gott Hilfe schickte, als frühere Generationen durch die Wüste zogen, noch

längst nicht angekommen im verheißenen Land? Wie auch immer, indem sie sich

aktiv zusammensetzen, Tischgruppe für Tischgruppe, werden sie selbst

füreinander zu einem Grün der Hoffnung, zu einem Garten in öder Gegend. Ob der

Beginn des Wunders von ihrer Kommunikation an den Tischen abhängt? Ist es dann

leichter, das zu teilen, was da ist?

Jesus nimmt die

fünf Brote und die zwei Fische, die seine Jünger dabei haben, schaut hinauf zum

Himmel und spricht den Brotsegen. Bei dem wenigen anfangen und Danke sagen. Es

segnen und Gott anvertrauen. Damit es aufgeht. Die anfangs Bedürftigen sehen

sich als Beschenkte. Denn plötzlich wird geteilt. Sie werden satt an Leib und

Seele, an Brot, an Gemeinschaft, womöglich an geteilter Hoffnung. Ein Aufleuchten

des Reiches Gottes. Es soll und wird reichen für alle. Das ist die

Verheißung.

Musik: Tracy Chapman: Talking about a revolution

Text/Komposition:

Tracy Chapman; Album: Tracy Chapman; Label: WEA; LC: 04281

Autorin: Eines

wird klar: Mit finanziellen und menschlichen Mitteln allein ist das Reich

Gottes heute nicht zu erreichen. Darum fordert Jesus die Menschen auf, die

Inventur neu zu lesen, neu zu bewerten. Den Tropfen auf den heißen Stein zu

wagen und auch eine nicht abgesicherte Aktion zu riskieren. Sich zusammensetzen

an einen Tisch, sich ansehen, miteinander reden und teilen, was da ist. Wie oft schon sind Konferenztische und Verhandlungstische

auch politischer Gegner, Küchentische und Abendmahlstische Orte der Versöhnung,

der Solidarität und der Hoffnung geworden, so dass neues Leben begann.

Ein solcher Perspektivwechsel, den Jesus hier

einfordert, ist nicht naiv, sondern eine strategische Sehhilfe. Sehen, was da

ist. Es nicht wegzuwerfen und zu sagen: es reicht eh nicht, damit ist nichts anzufangen.

Sondern wahrnehmen, was da ist, nicht defizit- sondern möglichkeitsorientiert.

Es ist wie beim Hefe- und beim Sauerteig. Wo der kleine Vorteig zu ganz viel

Brot wird. Damit es aufgeht.

Musik:

Damit es aufgeht

https://kirchenmorgen.de/wp-content/uploads/2022/02/Damit-es-aufgeht-Kantorei.mov

Autorin: So klingt das Mottolied einer Zukunftsinitiative

der Evangelischen Kirche im Rheinland. KIRCHEnMORGEN heißt sie und will

aufspüren und entwickeln, wo etwas Neues in Kirche entstehen, ja aufgehen kann.

Gemeinsam bewerten, was wir haben und fragen, welche Möglichkeiten sich

jenseits der eingefahrenen Wege eröffnen, Glauben und Kirche für morgen neu zu

entdecken. Damit aufgeht, was Gott mit uns vorhat. Dazu lädt Kirchenmorgen über

Pfingsten nach Solingen ein.

Musik:Damit es aufgeht

https://kirchenmorgen.de/wp-content/uploads/2022/02/Damit-es-aufgeht-Kantorei.mov

Autorin: Manchmal, wenn ich mich hilflos fühle, leihe ich mir ein

paar Zeilen aus diesem Lied: Jesus, du mutest uns zu, Vertrautes und Sicheres

loszulassen, dein liebendes, klärendes Wort auch heute in stets neue Formen zu

fassen. Hilf uns, das Unsere mit dir zu tun, um den Hunger von Menschen zu

stillen. Bitte zeig uns, wo du uns jetzt einsetzen willst, deine alten

Versprechen heut neu zu erfüllen! Damit es aufgeht: Ein neues Blühen in dieser

Zeit. Damit es aufgeht: Mach unsre Herzen weit, dass wir mit neuer Kraft und

deinem Geist auf neuen Wegen gehen und für deinen Traum mit deiner Welt

einstehn.

Im Alltag passiert es durchaus: Plötzlich wächst da Etwas, auch

durch unser Mittun. Was kann da nicht alles aufgehen!

Vielleicht eine Türe,

die sich nach einem Streit geschlossen hatte und jahrelang verschlossen blieb.

Weil zwei Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben wollten. Aus und

vorbei. Nur ein kurzer Gruß noch zu Weihnachten, aber auch das nicht jedes

Jahr. Bis dann doch einer sich überwindet, den ersten Schritt zu machen. Eine

Nachricht zu schreiben mit einem versöhnenden Wort am Schluss. Und siehe da, da

tut sich eine Tür auf, und sei es nur einen Spalt breit.

Gottes Traum von dieser Welt – in den letzten

Wochen ist er wieder erschüttert. Weil ein Machthaber einen Krieg begonnen hat,

der ein unermessliches Maß an Gewalt, Leid, Zerstörung und Tod mit sich bringt.

Der Hunger nach Leben, die Sehnsucht nach Frieden, ist groß wie nie.

Aber es gibt eben auch dies: An unzähligen

Orten versammeln sich Menschen zu Friedensgebeten. In vielen Städten gibt es

Demonstrationen gegen die Resignation, Kundgebungen für den Frieden. In der

Ukraine kommt das an. Als Zeichen der Verbundenheit und Solidarität. Womöglich

werden die Bilder auch in Russland gesehen. Wer weiß, was daraus noch erwächst…

Eine Familie hat

zwei Zimmer frei, die Kinder sind ja ausgezogen. Kann das eine Hilfe sein?

Reicht das? Dann nimmt sie gleich acht Menschen auf, die aus der Ukraine

geflüchtet sind. Drei Frauen und fünf Kinder. – Die Gastgeber fühlen sich reich

beschenkt.

Gottseidank gibt

es sie: Menschen, die beten und auf die Straße gehen, Menschen, die Hilfe

organisieren und handeln, die abgeben von dem, was sie haben und wenn es

zunächst noch so wenig erscheint.

Gottseidank gibt

es sie: Menschen, die an Tischen zusammensitzen, die einander zuhören und jene

trösten, die um ihre Angehörigen trauern oder bangen, Menschen, die sich

hineinerzählen in die Rettungs- und Hoffnungsgeschichten ihrer Vorfahren, und

daraus Kraft und Zuversicht schöpfen. Weil es selbst bei Leid und Tod noch ein

Mehr an Gottes Möglichkeiten gibt.

Gottseidank gibt

es sie: Menschen, die wie meine Oma ihre Kinder und Enkelinnen über ihre

Schultern schauen lassen und sie in das Hefe- oder Sauerteigkneten einüben. Menschen

mit einem langen Atem, die tätig und geduldig dem Frieden und der Gerechtigkeit

entgegen warten, auf dass aufgeht, was Gott mit uns vorhat.

Sie alle bilden

zusammen ein Grün der Hoffnung. Vielleicht klein und verletzlich. Vielleicht

nicht viel. Aber es ist ein Anfang.

Musik: Why Not

Komponist/Interpret: Chris Botti; Album: Slowing Down the World; Label:

The Verve Music Group; LC: 89825

Autorin (overvoice):

Dass Sie in die neue Woche etwas von der Kraft des

Reiches Gottes hineingeben und hineinkneten können, das wünsche ich Ihnen. Und

dann ein geduldiges, beharrliches und trotziges Warten. Auf dass es aufgeht, das

Reich Gottes!

Es grüßt Sie herzlich: Antje Menn aus Remscheid.

Musik: Why Not

(Fortsetzung)

Verwendete

Literatur:

Manfred Köhnlein,

Gleichnisse Jesu – Visionen einer besseren Welt, Stuttgart 2009.

Manfred Köhnlein, Wunder Jesu – Protest- und Hoffnungsgeschichten, Stuttgart

2010.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

  • 3.4.2022
  • Antje Menn
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