Autorin: Ich sehe den kleinen Milchtopf noch heute auf dem
Herd stehen, in der Küche meiner Großeltern. Es ist Samstagmorgen. Heute Mittag
wird es Hefeklöße geben. Wir Enkelinnen lieben sie, so ist unsere Vorfreude entsprechend
groß. Doch wir wissen auch: Bis zum Essen wird es noch lange dauern. Ein
Hefeteig braucht Zeit.
Wir sitzen auf der Küchenbank
und sehen zu, wie Oma nach kurzer Zeit die Milch vom Herd nimmt, sie in die
große Porzellanschüssel gibt, Hefe hinein bröckelt und mit einer Prise Zucker zum
Vorteig anrührt. Jetzt gilt es das erste Mal zu warten. Bläschen müssen
sichtbar werden, bevor Oma dann
das Mehl zugibt, alles zu einem Teig knetet und diesen so lange zwischen ihren
Händen hin und her schlägt, bis sie mit seiner Festigkeit zufrieden ist. Dann
deckt sie die Schüssel mit einem Geschirrtuch
ab und stellt sie auf die Fensterbank. „Jetzt
muss er gehen“, sagt sie dabei, so als wolle sie es auch dem Teig sagen, und mahnt
uns Kinder streng: „Nicht reingucken und vor allem: Fenster und Türen
geschlossen halten, bloß kein Luftzug – damit er aufgeht!“ Jetzt ist richtig Geduld
angesagt. Bis wir – das ist unser Ritual – unter das Geschirrtuch luken dürfen
und dann hoffentlich entdecken, dass der Teig sein Volumen vervielfacht hat und
die Schüssel fast überquillt.
Heute weiß ich
natürlich, dass es an den Hefepilzen liegt, die vom Zucker gefüttert den Teig
luftig und fluffig machen. Und doch ist der Anblick eines aufgegangenen Teigs für
mich noch immer etwas Besonderes, jedes Mal ein kleines Wunder. Dass da in und
unter meinem Tun etwas aufgeht. Unverfügbar. Einfach so. Es ist wie ein Stück
Verheißung mitten im Alltag.
Musik:New Beginning
Text, Komposition, Interpretin: Judy Bailey; Album: Travelling; Label: Gerth Medien; LC: 13743
Autorin: Im
Neuen Testament erzählt Jesus auch eine Teig-Geschichte. Nicht von Hefe-, aber
von Sauerteig. Den eine Frau mengt wie es damals viele taten, wie es üblich war.
Ein alltägliches Tun und doch für Jesus erwähnenswert, ja, gleichnisfähig.
Sprecher: Und wiederum sprach Jesus: Womit soll ich das
Reich Gottes vergleichen? Es gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und
unter drei Scheffel Mehl mengte. Bis es ganz durchsäuert war.
Autorin: Schaut
hin, sagt Jesus: Hier leuchtet das Reich Gottes auf. Im Brotbacken dieser Frau,
in einem gewöhnlichen Vorgang des Lebens. So wirkt Gott.
Nun wird hier in
der biblischen Geschichte nicht nur irgendwie gebacken, sondern im großen Stil.
Drei Scheffel Mehl, so erzählt das Lukasevangelium (Lk 13,21), mengt die Frau
unter den Sauerteig. Aus dem wenigen Teig zu Beginn wird viel, am Ende weit
über 40 Kilo Brot. Brot, das für mehr als 150 Personen ausreicht. Ob ein großes
Familien- oder Dorffest ansteht? So backt doch niemand, der nur an sich selbst
denkt. So kann nur jemand backen, der oder die mit dem Sauerteig auch sich
selbst einbringt, gleichsam einmischt: seine Geduld, seine Fürsorge, seine
eigenen Gaben. Für andere.
Wie dieser Teig, sagt
Jesus, wirkt Gott in unserer Welt: als treibende Kraft. Da, wo Menschen
miteinander wohnen und leben, arbeiten und leider auch leiden und hungern
müssen. Menschen tun etwas, bringen sich geduldig und fürsorglich ein, so wie
diese Frau im Gleichnis. Aber dann kommt noch etwas hinzu, damit es aufgeht.
Geheimnisvoll, nicht wirklich verfügbar, nicht immer machbar. Überall da lassen
sich die kleinen und großen Wunder Gottes entdecken, schafft das Reich Gottes
sich Raum.
Anders als die Reiche und Mächte dieser Welt. Mit einer ganz anderen
Vorstellung von Macht und Kraft und Herrlichkeit. Ein Wachsen und Aufgehen ohne
Kampf und Krieg, Korruption und Rivalität. Allein durch die Kraft eines
friedlichen Wachstums von unten her. Vorangetrieben durch die schöpferische,
versöhnende und heilende Macht Gottes.
Wie es im Buch des Propheten Jesaja heißt: „Gleichwie Gewächs aus der Erde
wächst und Samen aufgeht, so lässt Gott, der Herr, Gerechtigkeit aufgehen und
Ruhm vor allen Heidenvölkern.“ (Jes 61,11)
Musik: New Beginning
Text, Komposition, Interpretin: Judy Bailey; Album: Travelling; Label:
Gerth Medien; LC: 13743
Autorin: Für das Reich Gottes einstehen, für seinen Traum
mit dieser Welt, dazu braucht es Menschen, wie die Frau im Gleichnis. Menschen,
die den Teig, die eine Sache in die Hand nehmen. Menschen, die sich einmischen
und mit Geduld und Beharrlichkeit daran mitarbeiten, dass aufgeht, was Gott
verspricht, zum Beispiel Gemeinschaft und Gerechtigkeit.
Davon erzählt
eine weitere Brotgeschichte im Neuen Testament. Auch sie geht nicht auf wie
eine Rechnung aufgeht, sondern anders. Jene Geschichte von den fünf Broten und
den zwei Fischen, von denen 5000 Menschen satt werden, und anschließend sogar
noch etwas übrig bleibt. 12 Körbe. Eine Geschichte, an deren Ende eine Art Fest
steht.
Für mich ist auch
das eine Reich-Gottes-Geschichte. Alle vier Evangelien erzählen sie, manche
sogar zweimal. In dieser Geschichte ist alles anders, als wir es kennen.
Während bei uns das Brot der einen so oft auf Kosten anderer geht, und diese
sehen müssen, was sie kriegen können, fängt hier alles damit an, dass Jesus
hinsieht, nicht nur äußerlich die Volksmenge sieht, sondern tiefer sieht, auch
ihren Hunger und ihre Sorgen.
Nach einer
Predigt, die Worte sind nicht überlieft, wollen die Jünger die Menge
wegschicken, damit sie sich in den Dörfern etwas zu essen kaufen. (Mk 6,36)
Doch für Jesus gehören Wort und Brot und Tat zusammen. Also fordert er die
Jünger auf: Gebt ihr ihnen zu essen. So lässt
er sie nachsehen, wie viele Vorräte da sind. Fünf Brote und zwei Fische – das
scheint nicht genug zu sein. Jedenfalls nicht genug, um sie herauszugeben und
zu teilen. Die Jünger schätzen, man bräuchte 200 Silbergroschen, um für so
viele Menschen Brot zu kaufen. Unmöglich.
Dennoch: Jesus
fordert die Menschenmenge auf, sich in Tischgruppen hinzusetzen. Aufs grüne Gras,
obwohl der Ort doch öde ist. Ob die Leute für einen Moment an die grünen Auen
aus Psalm 23 denken?
„Der HERR, ist
mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und
führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf
rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern
Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.“
Ob sie sich so
hineinversetzten in die Rettungs- und Hoffnungsgeschichte ihrer Vorfahren? Wie
Gott Hilfe schickte, als frühere Generationen durch die Wüste zogen, noch
längst nicht angekommen im verheißenen Land? Wie auch immer, indem sie sich
aktiv zusammensetzen, Tischgruppe für Tischgruppe, werden sie selbst
füreinander zu einem Grün der Hoffnung, zu einem Garten in öder Gegend. Ob der
Beginn des Wunders von ihrer Kommunikation an den Tischen abhängt? Ist es dann
leichter, das zu teilen, was da ist?
Jesus nimmt die
fünf Brote und die zwei Fische, die seine Jünger dabei haben, schaut hinauf zum
Himmel und spricht den Brotsegen. Bei dem wenigen anfangen und Danke sagen. Es
segnen und Gott anvertrauen. Damit es aufgeht. Die anfangs Bedürftigen sehen
sich als Beschenkte. Denn plötzlich wird geteilt. Sie werden satt an Leib und
Seele, an Brot, an Gemeinschaft, womöglich an geteilter Hoffnung. Ein Aufleuchten
des Reiches Gottes. Es soll und wird reichen für alle. Das ist die
Verheißung.
Musik: Tracy Chapman: Talking about a revolution
Text/Komposition:
Tracy Chapman; Album: Tracy Chapman; Label: WEA; LC: 04281
Autorin: Eines
wird klar: Mit finanziellen und menschlichen Mitteln allein ist das Reich
Gottes heute nicht zu erreichen. Darum fordert Jesus die Menschen auf, die
Inventur neu zu lesen, neu zu bewerten. Den Tropfen auf den heißen Stein zu
wagen und auch eine nicht abgesicherte Aktion zu riskieren. Sich zusammensetzen
an einen Tisch, sich ansehen, miteinander reden und teilen, was da ist. Wie oft schon sind Konferenztische und Verhandlungstische
auch politischer Gegner, Küchentische und Abendmahlstische Orte der Versöhnung,
der Solidarität und der Hoffnung geworden, so dass neues Leben begann.
Ein solcher Perspektivwechsel, den Jesus hier
einfordert, ist nicht naiv, sondern eine strategische Sehhilfe. Sehen, was da
ist. Es nicht wegzuwerfen und zu sagen: es reicht eh nicht, damit ist nichts anzufangen.
Sondern wahrnehmen, was da ist, nicht defizit- sondern möglichkeitsorientiert.
Es ist wie beim Hefe- und beim Sauerteig. Wo der kleine Vorteig zu ganz viel
Brot wird. Damit es aufgeht.
Musik:
Damit es aufgeht
https://kirchenmorgen.de/wp-content/uploads/2022/02/Damit-es-aufgeht-Kantorei.mov
Autorin: So klingt das Mottolied einer Zukunftsinitiative
der Evangelischen Kirche im Rheinland. KIRCHEnMORGEN heißt sie und will
aufspüren und entwickeln, wo etwas Neues in Kirche entstehen, ja aufgehen kann.
Gemeinsam bewerten, was wir haben und fragen, welche Möglichkeiten sich
jenseits der eingefahrenen Wege eröffnen, Glauben und Kirche für morgen neu zu
entdecken. Damit aufgeht, was Gott mit uns vorhat. Dazu lädt Kirchenmorgen über
Pfingsten nach Solingen ein.
Musik:Damit es aufgeht
https://kirchenmorgen.de/wp-content/uploads/2022/02/Damit-es-aufgeht-Kantorei.mov
Autorin: Manchmal, wenn ich mich hilflos fühle, leihe ich mir ein
paar Zeilen aus diesem Lied: Jesus, du mutest uns zu, Vertrautes und Sicheres
loszulassen, dein liebendes, klärendes Wort auch heute in stets neue Formen zu
fassen. Hilf uns, das Unsere mit dir zu tun, um den Hunger von Menschen zu
stillen. Bitte zeig uns, wo du uns jetzt einsetzen willst, deine alten
Versprechen heut neu zu erfüllen! Damit es aufgeht: Ein neues Blühen in dieser
Zeit. Damit es aufgeht: Mach unsre Herzen weit, dass wir mit neuer Kraft und
deinem Geist auf neuen Wegen gehen und für deinen Traum mit deiner Welt
einstehn.
Im Alltag passiert es durchaus: Plötzlich wächst da Etwas, auch
durch unser Mittun. Was kann da nicht alles aufgehen!
Vielleicht eine Türe,
die sich nach einem Streit geschlossen hatte und jahrelang verschlossen blieb.
Weil zwei Menschen nichts mehr miteinander zu tun haben wollten. Aus und
vorbei. Nur ein kurzer Gruß noch zu Weihnachten, aber auch das nicht jedes
Jahr. Bis dann doch einer sich überwindet, den ersten Schritt zu machen. Eine
Nachricht zu schreiben mit einem versöhnenden Wort am Schluss. Und siehe da, da
tut sich eine Tür auf, und sei es nur einen Spalt breit.
Gottes Traum von dieser Welt – in den letzten
Wochen ist er wieder erschüttert. Weil ein Machthaber einen Krieg begonnen hat,
der ein unermessliches Maß an Gewalt, Leid, Zerstörung und Tod mit sich bringt.
Der Hunger nach Leben, die Sehnsucht nach Frieden, ist groß wie nie.
Aber es gibt eben auch dies: An unzähligen
Orten versammeln sich Menschen zu Friedensgebeten. In vielen Städten gibt es
Demonstrationen gegen die Resignation, Kundgebungen für den Frieden. In der
Ukraine kommt das an. Als Zeichen der Verbundenheit und Solidarität. Womöglich
werden die Bilder auch in Russland gesehen. Wer weiß, was daraus noch erwächst…
Eine Familie hat
zwei Zimmer frei, die Kinder sind ja ausgezogen. Kann das eine Hilfe sein?
Reicht das? Dann nimmt sie gleich acht Menschen auf, die aus der Ukraine
geflüchtet sind. Drei Frauen und fünf Kinder. – Die Gastgeber fühlen sich reich
beschenkt.
Gottseidank gibt
es sie: Menschen, die beten und auf die Straße gehen, Menschen, die Hilfe
organisieren und handeln, die abgeben von dem, was sie haben und wenn es
zunächst noch so wenig erscheint.
Gottseidank gibt
es sie: Menschen, die an Tischen zusammensitzen, die einander zuhören und jene
trösten, die um ihre Angehörigen trauern oder bangen, Menschen, die sich
hineinerzählen in die Rettungs- und Hoffnungsgeschichten ihrer Vorfahren, und
daraus Kraft und Zuversicht schöpfen. Weil es selbst bei Leid und Tod noch ein
Mehr an Gottes Möglichkeiten gibt.
Gottseidank gibt
es sie: Menschen, die wie meine Oma ihre Kinder und Enkelinnen über ihre
Schultern schauen lassen und sie in das Hefe- oder Sauerteigkneten einüben. Menschen
mit einem langen Atem, die tätig und geduldig dem Frieden und der Gerechtigkeit
entgegen warten, auf dass aufgeht, was Gott mit uns vorhat.
Sie alle bilden
zusammen ein Grün der Hoffnung. Vielleicht klein und verletzlich. Vielleicht
nicht viel. Aber es ist ein Anfang.
Musik: Why Not
Komponist/Interpret: Chris Botti; Album: Slowing Down the World; Label:
The Verve Music Group; LC: 89825
Autorin (overvoice):
Dass Sie in die neue Woche etwas von der Kraft des
Reiches Gottes hineingeben und hineinkneten können, das wünsche ich Ihnen. Und
dann ein geduldiges, beharrliches und trotziges Warten. Auf dass es aufgeht, das
Reich Gottes!
Es grüßt Sie herzlich: Antje Menn aus Remscheid.
Musik: Why Not
(Fortsetzung)
Verwendete
Literatur:
Manfred Köhnlein,
Gleichnisse Jesu – Visionen einer besseren Welt, Stuttgart 2009.
Manfred Köhnlein, Wunder Jesu – Protest- und Hoffnungsgeschichten, Stuttgart
2010.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth