„O komm, o komm, du Morgenstern“ (eg 19)

Choralandacht | 17.12.2022 | 00:00 Uhr

Autor:

Heute

genau in einer Woche ist Heiligabend. Es wird ein besonderes Weihnachten sein.

So viele Sorgen lasten auf unseren Tagen. Jetzt ein Lied, das in Wort und Klang

echt ist, das an dem Schwarz und dem Schweren nicht vorbeisieht – und das

gleichzeitig ein Mutmacher sein kann! „O komm, o komm du Morgenstern“: In der Evangelischen Kirche ist dies das Lied für die 4.

Adventswoche. Otmar Schulz hat die Verse für die Fassung im Evangelischen

Gesangbuch gedichtet. Er selbst hat einmal dazu gesagt:

Sprecher:

Das

Lied habe ich ins Deutsche übertragen, weil ich allein schon die Melodie

hinreißend finde. Ich habe sie vor vielen Jahren zuerst im Satz von Zoltan

Kodaly gehört und war restlos begeistert! Seitdem hat sie mich nicht

losgelassen.

Musik

1

Veni, veni, Emmanuel

Titel:

Veni, veni, Emmanuel; Komponist: Koda?ly, Zolta?n; Interpret: MDR-Rundfunkchor;

Leitung: Ahmann, Philipp; Label: GENUIN; LC: 12029.

Veni,

veni Emmanuel! Captivum solve Israel! Qui gemit in exilio,

Privatus Dei Filio, Gaude, gaude, Emmanuel Nascetur pro te, Israel.

Autor:

Wie

da am Ende Licht aufstrahlt in dieser dunkel getönten Sehnsuchts-Melodie! Unter

dem Lied steht im Gesangbuch, dass Schulz sie nach dem englischen „O come, o

come Emmanuel“ gedichtet habe. Er selbst aber sagt, dass sein Text auf den

lateinischen Vorläufer zurückgeht. Schulz hat sieben Strophen auf drei

verdichtet. Und gleich die erste bittet: Mach es hell!

Musik

2 (Choral, Strophe 1)

Titel:

O komm, o komm, du Morgenstern; Text: Otmar Schulz; Komposition: unbekannt

(Frankreich, 15. Jh); Interpreten: Wilhelmshavener Vokalensemble; Leitung: Ralf

Popken; Album: Die Nacht ist vorgedrungen; Verlag: Hansisches Druck- und

Verlagshaus GmbH, Hamburg; Label: Edition Chrismon; LC: 16005. (1:50-2:28 =

0:38)

Sprecherin

(overvoice): O komm, o komm, du Morgenstern, lass uns dich schauen, unsern

Herrn! Vertreib das Dunkel unsrer Nacht durch deines klaren Lichtes Pracht.

Autor: Gerade in den

dunkelsten Tagen des Jahres gehen wir zu auf Weihnachten. Das passt. Der

Morgenstern ist das klare Signal, dass auch die tiefste und längste Nacht nicht

unendlich ist. Freilich: der Morgenstern, der hier herbeigesungen wird, der

steht nicht hoch und fern am Himmel. Er liegt als Kind in einer Krippe. In

einem kalten Stall, in einem besetzten Land. Der Morgenstern ist nicht oben, er

ist unten. Vom ersten Weihnachten an. Der Maler Paul Klee hat 1915, also im I.

Weltkrieg, gedichtet: „Mein Stern ist aufgegangen / tief unter meinen Füßen!“ Das

ist das kürzeste Advents- und Weihnachtsgedicht, das ich kenne. „Das Dunkel unserer

Nacht“: Das ist die Finsternis, die wir Menschen

einander zufügen und die wir erleiden.

Musik

3 (Choral, Strophe 2)

Titel:

O komm, o komm, du Morgenstern; Text: Otmar Schulz; Komposition: unbekannt

(Frankreich, 15. Jh); Interpreten: Capella Vocale Schwelm; Leitung: Sabine

Horstmann; Sammlung: Singe Christenheit; WDR-Archivnummer 5111238101.

Sprecherin

(overvoice):

O

komm, du Sohn aus Davids Stamm, du Friedensbringer, Osterlamm. Von Schuld und

Knechtschaft mach uns frei und von des Bösen Tyrannei.

Autor:

Gleich

nach dem Nachtwort „Tyrannei“ folgt wieder der Refrain wie ein Licht, das

hereinbricht: „Freut euch, freut euch, der Herr ist nah. Freut euch und singt

Halleluja.“ Dahinter steht der Vers, der in der Evangelischen Kirche am 4.

Advent den Menschen als Wochenspruch mitgegeben wird. Da schreibt Paulus im 4.

Kapitel des Philipperbriefs:

Sprecher:

Freuet

euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!

Eure

Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe!

Autor:

Zweimal

fordert Paulus zur Vorfreude auf, weil die Nähe von Jesus doch schon so zu

spüren ist. Otmar Schulz fügt sogar noch ein drittes „Freut euch!“ hinzu und

endet mit einem Halleluja. Der Advent ist eine Fastenzeit genau wie die Wochen

vor Ostern. Im Gottesdienst soll hier eigentlich kein Halleluja gesungen

werden. Aber mit dieser alten Melodie ist es doch goldrichtig: Wie der

Morgenstern aus der Höhe in unsere tiefste Nacht herabsteigt, so setzt der

Refrain am allerhöchsten Ton ein und sinkt dann mit jedem „Freut euch!“ immer

tiefer und landet beim Halleluja auf dem Grundton, tief unter unseren Füßen.

Musik

2

freut

euch und singt Halleluja!

Autor: Der Morgenstern

der ersten Strophe wird in der Zweiten „Osterlamm“ genannt. So tief kann Gott

sinken – in unsere Finsternis hinein. Das Kind in der Krippe wird zum Mann am

Kreuz. Das Licht in der Weihnacht ist das Licht der Osternacht. Ach, das immer

wieder spüren zu können – nicht nur an diesen beiden Fest-Daten! Im Lied heißt

es: das Osterlamm ist der Friedensbringer und der Befreier von Schuld. Genau

das singen wir in unseren Kirchen vor jedem heiligen Abendmahl! „Christe, du

Lamm Gottes, der du trägst die Sünd der Welt,… gib uns deinen Frieden!“ In

meiner Gemeinde stehen wir dann im Kreis, der Herr ist nahe, ist mitten unter

uns, Vergebung von Schuld ist zu schmecken und zu sehen. Der Geist von diesem

sehr unspektakulären Friedensfest, er darf und er muss aus den Kirchen

hinauswandern in die Welt.

Musik

4 (instrumental)

Titel: Veni, veni Emmanuel; Interpreten: Suzuki, Masato (Orgel); Bach Collegium

Japan; Leitung: Suzuki, Masaaki; Label: BIS; LC: 03240.

Autor

(overvoice): Dieser Friedens-Geist möge in unser Weihnachtsfest hereinkommen! Alljährlich

der Hinweis von Psychologen, dass es gerade an Heiligabend in den Familien

kriselt. Unter der Tyrannei gegenseitiger Schuldvorwürfe hilft es nichts, einen

künstlichen Frieden machen und darüberlegen zu wollen. Wir könnten ehrlich sein

und uns eingestehen, dass uns der echte Frieden fehlt – und wir tatsächlich den

Friedensbringer brauchen. Einander „Güte kund tun“ – dieser schöne Ausdruck im

Philipperbrief – wir können das nur, wenn wir diese Güte zuerst geschenkt

kriegen an diesem Weihnachtsfest. Wir brauchen es, dass der Herr kommt – und

dass er bleibt…

Musik

3 (Choral, Strophe 3)

Sprecherin

(overvoice): O komm, o Herr, bleib bis ans End, bis dass uns nichts mehr von

dir trennt, bis dich, wie es dein Wort verheißt, der Freien Lied ohn Ende

preist.

Autor: „Und siehe, ich

bin bei euch bis an der Welt Ende“ – das verspricht Jesus in seinem Taufbefehl.

Und dies Ende wird ein neuer Anfang sein – mit ihm. Das gilt für das Weltende

und gilt individuell für unser jeweiliges Lebensende. Was wir hier nur immer

wieder punktuell erleben können, gibt es dann total: Freiheit von bedrückender

Nacht. Wie wunderbar die Melodie zu dieser Botschaft passt. Besonders wenn man

weiß, wofür sie einmal ursprünglich verwendet worden ist. Französische

Franziskanerinnen hatten im 15. Jahrhundert in ihrer Totenliturgie unter diese

Weise geschrieben: „Libera me, Domine, de morte æterna – Befreie mich, Herr,

vor dem ewigen Tod.“ Der Morgenstern, das Osterlamm hat versprochen, das zu

tun. Diese Melodie ist zum Adventslied geworden. Sie ist wie das Glöckchenläuten

genau in sieben Tagen, mit dem die Kirchen zu sich einladen zum

Weihnachtsgottesdienst.. Und dann treten wir ein. Und das Lied ist gleichzeitig

schon der Glöckchenklang aus dem Paradies, dem ewigen Friedensreich. Auch diese

Tür wird sich einmal für uns öffnen.

Musik

4 (instrumental)

Redaktion: Landespfarrer

Dr. Titus Reinmuth

  • 17.12.2022
  • Christian Casdorff
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