Autorin: Wann waren Sie
das letzte Mal ganz still? Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Sie gespürt
haben: Jetzt gerade ist alles absolut ruhig – kein Ton zu hören, vollkommen
leise!?
Sprecherin: Wenn ich ganz
still bin kann ich von meinem Bett aus
das
Meer rauschen hören. Es genügt aber nicht ganz still zu sein
ich
muss auch meine Gedanken vom Land abziehen.
Autorin:
Wenn
es im Außen ruhig wird, können wir plötzlich unsere Gedanken hören. Manchmal
kommt es mir vor wie ein Rauschen. Laute Gedanken im eigenen Kopf. Wenn ich genau
hinhöre, kann ich sogar plötzlich meinen eigenen Atem wahrnehmen.
Sprecherin: Es genügt nicht
die Gedanken vom Festland abzuziehen.
Ich
muss auch das Atmen dem Meer anpassen, weil ich beim Einatmen weniger höre
Es
genügt nicht den Atem dem Meer anzupassen. Ich muss auch Händen und Füßen die Ungeduld
nehmen.
Autorin:
Still
werden, verlangt auch Inne zu halten. Einfach mal das Tun sein lassen. Nicht
mehr planen, organisieren, machen – sondern die Hände wirklich mal in
den Schoß legen.
Sprecherin: Es genügt nicht
Hände und Füße zu besänftigen.
Ich
muss auch die Bilder von mir weggeben. Es genügt nicht die Bilder wegzugeben.
Ich
muss auch das Müssen lassen.
Es
genügt nicht das Müssen zu lassen, solange ich das Ich nicht verlasse
Autorin:
Je
mehr ich alles, was ich tue und denke, was ich sage, schreibe, kommuniziere –
sein lasse, desto mehr komme ich bei mir selbst an. In dem Gedicht „Wenn ich
ganz still werde“ beschreibt die Theologin und Poetin Dorothee Sölle den
Prozess der Kontemplation. Lateinisch contemplatio heißt so viel wie: „den
Blick auf etwas richten“. Gemeint ist ein innerer Prozess des Rückzugs, der
Einkehr und des Loslassens.
Sprecherin: Es genügt nicht
das Ich zu lassen.
Ich
lerne das Fallen. Es genügt nicht, zu fallen;
aber
während ich falle und mir entsinke höre ich auf,
das
Meer zu suchen, weil das Meer nun
von
der Küste heraufgekommen und in mein Zimmer getreten
um
mich ist. (Wenn ich ganz still bin.)
Autorin:
Je
mehr ich nach innen gehe und mich von dem Bild löse, das ich von mir habe,
desto näher komme ich meiner Sehnsucht und meinem eigenen Herzen. Und
vielleicht begegne ich in der Stille auch Gott, dieser allumfassenden göttlichen
Kraft, die mein Fallen sanft abfedert und mich umgibt wie das Meer. Wenn ich
ganz still bin.
Quellen: www.dorothee-soelle.de Dorothee Sölle, Die revolutionäre
Geduld, Wolfgang Fietkau Verlag 1974
Redaktion: Pastorin Sabine
Steinwender-Schnitzius
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