Still werden

Kirche in WDR2 | 15.12.2021 | 00:00 Uhr

Autorin: Wann waren Sie

das letzte Mal ganz still? Erinnern Sie sich an den Moment, in dem Sie gespürt

haben: Jetzt gerade ist alles absolut ruhig – kein Ton zu hören, vollkommen

leise!?

Sprecherin: Wenn ich ganz

still bin kann ich von meinem Bett aus

das

Meer rauschen hören. Es genügt aber nicht ganz still zu sein

ich

muss auch meine Gedanken vom Land abziehen.

Autorin:

Wenn

es im Außen ruhig wird, können wir plötzlich unsere Gedanken hören. Manchmal

kommt es mir vor wie ein Rauschen. Laute Gedanken im eigenen Kopf. Wenn ich genau

hinhöre, kann ich sogar plötzlich meinen eigenen Atem wahrnehmen.

Sprecherin: Es genügt nicht

die Gedanken vom Festland abzuziehen.

Ich

muss auch das Atmen dem Meer anpassen, weil ich beim Einatmen weniger höre

Es

genügt nicht den Atem dem Meer anzupassen. Ich muss auch Händen und Füßen die Ungeduld

nehmen.

Autorin:

Still

werden, verlangt auch Inne zu halten. Einfach mal das Tun sein lassen. Nicht

mehr planen, organisieren, machen – sondern die Hände wirklich mal in

den Schoß legen.

Sprecherin: Es genügt nicht

Hände und Füße zu besänftigen.

Ich

muss auch die Bilder von mir weggeben. Es genügt nicht die Bilder wegzugeben.

Ich

muss auch das Müssen lassen.

Es

genügt nicht das Müssen zu lassen, solange ich das Ich nicht verlasse

Autorin:

Je

mehr ich alles, was ich tue und denke, was ich sage, schreibe, kommuniziere –

sein lasse, desto mehr komme ich bei mir selbst an. In dem Gedicht „Wenn ich

ganz still werde“ beschreibt die Theologin und Poetin Dorothee Sölle den

Prozess der Kontemplation. Lateinisch contemplatio heißt so viel wie: „den

Blick auf etwas richten“. Gemeint ist ein innerer Prozess des Rückzugs, der

Einkehr und des Loslassens.

Sprecherin: Es genügt nicht

das Ich zu lassen.

Ich

lerne das Fallen. Es genügt nicht, zu fallen;

aber

während ich falle und mir entsinke höre ich auf,

das

Meer zu suchen, weil das Meer nun

von

der Küste heraufgekommen und in mein Zimmer getreten

um

mich ist. (Wenn ich ganz still bin.)

Autorin:

Je

mehr ich nach innen gehe und mich von dem Bild löse, das ich von mir habe,

desto näher komme ich meiner Sehnsucht und meinem eigenen Herzen. Und

vielleicht begegne ich in der Stille auch Gott, dieser allumfassenden göttlichen

Kraft, die mein Fallen sanft abfedert und mich umgibt wie das Meer. Wenn ich

ganz still bin.

Quellen: www.dorothee-soelle.de Dorothee Sölle, Die revolutionäre

Geduld, Wolfgang Fietkau Verlag 1974

Redaktion: Pastorin Sabine

Steinwender-Schnitzius

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  • 15.12.2021
  • Nicole Richter
  • © CCO Pixabay
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