Guten Morgen!
Und – was fangen Sie an mit
diesem Feiertag? Gibt‘s Pläne? Oder sind Sie vielleicht schon unterwegs Richtung
Thüringen? In Erfurt wird der Tag der Deutschen Einheit in diesem Jahr ganz offiziell
gefeiert. Mit Staatsakt und mit dem gewohnten großen Bürgerfest. 16
Bundesländer präsentieren hier ihre Schokoladenseiten. Könnte sich lohnen, auch
wenn der Weg ein weiter ist für uns im WDR-Gebiet.
Seit 31 Jahren gibt es das, angefangen
vom ersten großen Deutschlandfest in Hamburg, ein Jahr nach dem 03. Oktober
1990. Jedes Jahr reihum richtet Bundesland nach Bundesland die Festlichkeiten
aus – Nationalfeiertag.
Nun bin ich kein großer
Freund von Volksfesten aller Art. Habe also in 31 Jahren noch jedes Deutschlandfest
verpasst. Vermutlich ein Fehler. Denn erstens: Geboten wird dort zweifelsohne
viel. Zweitens: Zusammenwachsen, das Motto für die Feier dieses Jahres,
zusammenwachsen, das ist ein sinnvolles, hilfreiches Ziel – für unsere ganze Gesellschaft.
Und drittens: Ja, es gibt durchaus etwas zu feiern am Tag der Deutschen Einheit,
im Gedenken an 1990.
Dass eine unmenschliche
Grenze, mit Stacheldraht, Mauern und Schießbefehl auf den Schrottplatz der
Geschichte kam – Halleluja. Dass Diktatur und Stasi-Spitzelei mit friedlichen
Mitteln hinweggefegt wurden – Gott sei’s gelobt. Dass 17 Millionen mit einem
Mal frei reden, frei reisen, frei wählen konnten – was wäre ein Grund zum
Feiern, wenn nicht das?
Sicher, in den so genannten neuen
Bundesländern denken heute viele auch an die Kehrseiten der großen Wende. Plötzlich
keine Arbeit mehr, oft jahrelang. Mit einem Mal ein Berg von Bürokratie, abhängig
vom Amt, aber meist keine Hilfe. Alltag und gewohnte Ordnung völlig
durcheinander. Und am schlimmsten das Gefühl: Dein ganzes Leben, deine
Biographie bis hierhin – einfach entwertet, vom Westen aus gesehen kann das
alles weg. Das hat Wunden hinterlassen.
Zusammenwachsen. Ist leichter
gesagt als getan, auch nach drei Jahrzehnten noch.
Schon deshalb braucht ein Deutschlandfest
anderes als Pauken und Trompeten und Tschingderassassa. „Hurra“ passt eh für
alle Zeit nicht mehr zum deutschen Patriotismus.
In Erfurt übrigens wird heute
vor dem Staatsakt und dem Bürgerfest auch ein Ökumenischer Gottesdienst
gefeiert. Nicht um dem Himmel für Deutschland zu danken, Gott bewahre. Die
Zeiten sind gründlich vorbei.
Dankbar an eine friedliche
Revolution zu erinnern. An die Mutigen, die in Leipzig von der Nikolaikirche
aus auf die Straße gingen. Die hatten nicht Deutschland im Sinn, sondern
Freiheit und Frieden und Gerechtigkeit. Da war viel Heiliger Geist unterwegs.
Dankbar daran erinnern. Und
danach fragen, wie Deutschland heute Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit
befördern kann. Das wäre ein Fest. Da bin ich dabei.
Ihr Ulf Schlüter, Bielefeld.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59348_WDR3520221003Schlueter.mp3