Hoffen und Warten

Kirche in WDR3 | 31.12.2021 | 00:00 Uhr

Guten Morgen! „Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.“ Heißt

ein Sprichwort. Ich will aber hoffen. Gerade jetzt zwischen den Jahren. Klar,

wir haben gehofft, mit der Pandemie schon besser leben zu können – doch das

Virus mit seiner Verwandlungsfähigkeit hält uns zum Narren. Trotzdem: Ich hoffe

weiter. Obwohl man sich mit vergeblichem Hoffen und Warten lächerlich machen

kann oder auch irre wird.

Das Theaterstück „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett ist ein Stück über

Hoffen und Warten. Es ist aus der Sparte des so genannten absurden Theaters.

Das Bühnenbild besteht aus einer Landstraße, die aus einem Irgendwoher kommt

und in ein Irgendwohin führt. Und dann ist da noch ein einzelner Baum. In

seiner Nähe begegnen uns die beiden Landstreicher Vladimir und Estragon. Beide

warten auf einen gewissen Godot. Mit der Zeit gesellen sich zwei Reisende zu

ihnen: Pozzo, der Herr, und Lucky, sein Knecht. Alle warten nun gemeinsam auf

Godot, den ein stummer Bote zuweilen ankündigt. Das ganze Stück hindurch warten

sie und hoffen sie und hoffen und warten. Godot jedoch kommt nicht.

Dieses Theaterstück ist zu einem Sinnbild für langwieriges und aussichtsloses

Warten geworden. Viele haben das als Gleichnis für das vergebliche Warten auf

Gott gedeutet. Jedenfalls: Ob es ein Ziel, einen Halt im Warten gibt, bleibt

hier offen. „Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.“ In „Warten auf Godot“

ist das Sprichwort Gestalt geworden. „Andererseits: „Warten auf Godot“ zeigt

mir auch: Der Mensch lebt, solange er hofft…

Ich kann mir mein Leben ohne „Hoffen“ nicht vorstellen. Ich hoffe, gesund zu

werden. Ich hoffe, dass mich jemand besucht oder anruft, wenn ich mich allein fühle. Im Unfrieden erhoffen die

Menschen den Frieden. Im Hunger hoffen Menschen auf Nahrung. In der Coronakrise

hoffen wir auf das Abebben des Virus. Hoffen, dass es uns nicht erwischt.

Hoffen auf ein wirksames Medikament. Erwarten sehnlichst die dritte Impfung. Am

Jahresende hoffen wir auf ein gutes, neues Jahr.

Hoffen und Warten sind Geschwister. Immer, wenn ich hoffe, dass sich etwas

ändert, warte ich zugleich. Bisweilen zerplatzt die Hoffnung wie eine

Seifenblase. Vor allem, wenn ich andere verantwortlich mache für die Misere:

Ich warte auf die, die gefälligst den ersten Schritt tun müssen: die Kinder,

die Nachbarn, den Staat, die Kirche, die Regierung, die uns zuverlässiger vor

Covid-19 bewahren soll, als sie es scheinbar tut… Nach dem Motto:

Der andere ist zuerst dran – dann mag ich folgen. Christliche Hoffnung aber wartet nicht auf

den ersten Schritt der anderen. Als Christ kann ich darauf hoffen, dass

Christus kommt, damit in meinem und deinem Leben zurechtkommt, was noch

ungereimt und ungeordnet ist. Und diese Hoffnung bewirkt etwas in mir: Sie macht mich frei für den ersten, für den

eigenen Schritt.

Alle Godots dieser Welt versprechen seit ewigen Zeiten viel und kommen dann

doch nicht. Mit der christlichen Hoffnung ist es anders. Gott verspricht viel

und hält alles. Darauf lohnt es sich, auch etwas länger zu warten. Zu warten

inmitten all meiner Sorge um meine

Gesundheit. Um mein Davonkommen. Um unsere gemeinsame Zukunft.

„A gut rosch“, einen guten Anfang, wie man ihn sich

zum jüdischen Neujahrsfest wünscht – den wünsche ich uns allen für das morgen

beginnende neue Jahr.

Ihr Pfarrer Michael Opitz aus Düsseldorf.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

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  • 31.12.2021
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