Getroffen

Kirche in WDR2 | 05.04.2022 | 00:00 Uhr

Morgens stelle ich mir manchmal vor, wie es ist, jetzt in

einer U-Bahn-Station aufzuwachen. Seit ich diese Bilder aus dem Krieg in der

Ukraine gesehen habe, rückt immer näher, was ich mir vorher nie hätte

vorstellen können.

Was passiert, trifft mich auf eine ganz neuartige Weise,

obwohl ich schon viele schreckliche Kriegsbilder aus mir fremden Ländern

gesehen habe. Unzählige Geschichten von Geflüchteten gehört habe, die mich oft

berührt und betroffen gemacht haben. Aber das, was jetzt in der Ukraine passiert,

trifft mich mitten ins Mark.

Dass das so ist, sagt viel über mich aus – als westliche,

weiße Frau Ende dreißig. Es ist ungerecht, dass mich das Leid der einen

persönlich mehr trifft als das anderer, aber so ist es. Bei mir kommt nämlich

plötzlich gefühlsmäßig an, was ich als Christin eigentlich schon längst leben

müsste: Wir Menschen gehören doch alle zusammen, und das weltweit.

Christlich gibt es dafür dieses Bild: „Es ist wie beim

menschlichen Körper: Er bildet eine Einheit und besteht doch aus vielen

Körperteilen.“ (1 Kor 12)

Gemeint ist die christliche Gemeinschaft. Aber wieso nicht

auch wir als Weltgemeinschaft?

Wir Menschen gehören zusammen, weil wir Menschen sind.

Nicht weil wir einheitlich denken, dasselbe fühlen und das

gleiche über Gott sagen.

Sondern, wie wir Menschen sind, weil wir überhaupt fühlen,

denken und handeln, weil wir Gutes tun, und auch weniger Gutes/ leider auch

Böses. Das macht uns gleich. Ganz gleich, ob wir zufällig hier oder dort

geboren sind.

Und diese Art der Gemeinschaft hat für mich spürbare

Konsequenzen. Denn:

„Wenn ein Teil leidet, leiden alle anderen Teile mit. Und

wenn ein Teil geehrt wird, freuen sich alle anderen Teile mit.“

Das ist natürlich eine Wunschvorstellung, von der wir

im Moment sehr weit entfernt sind. Das zeigen all die Grausamkeiten, die

Menschen anderen Menschen antun. Wir sind weit davon entfernt, sowohl in der

christlichen Gemeinschaft, als auch in unserer menschlichen Weltgemeinschaft

aufmerksam und respektvoll für einander zu sorgen.

Und trotzdem will ich nicht aufhören, daran zu glauben, dass

der Geist, der uns Menschen zu Menschen macht, da ist und wirkt.

Ich will trotz Krieg, Hass, Hybris und Respektlosigkeit nicht

aufhören, daran zu glauben, dass dieser Geist es schafft, Menschen immer wieder

zur Vernunft zu bringen, uns zu verbinden in dem Gefühl: „Wenn eine /einer

leidet, leiden alle anderen mit. Und wenn eine/einer sich freut, freuen sich

alle anderen mit.“

Ich hoffe, dass uns

alle dieser Geist verbindet.

Redaktion:

Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 5.4.2022
  • Judith Uhrmeister
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