Guten Morgen.
Ich höre
Nachrichten und weiß oft nicht: Wohin mit all dem Leid?
Die zerbombten
Städte in der Ukraine, die vielen Mütter, Kinder auf der Flucht.
Wohin mit meiner
Ohnmacht, meiner Wut, meinem Entsetzen?
Ein Ventil für die
Seele. Das bräuchte ich. Jemanden, dem ich all das klagen kann.
Klagen ist für mich
dabei etwas anderes als Jammern.
Beim Jammern drehe
ich mich nur wehleidig um mich selbst.
Klagen dagegen hat
ein Gegenüber.
Ich klage einem
guten Freund, was mich belastet.
Und indem ich das
tue, verändert sich was in mir.
Doch wohin, wenn
das Leid viel zu groß wird?
Ich selbst habe
viel über das Klagen aus dem Buch Hiob in der Bibel gelernt.
Es handelt von
einem Menschen, der auch nicht weiß: Wohin mit all dem Leid?
Hiob verliert in
kurzer Zeit alles: erst seinen Besitz, dann seine Kinder, schließlich die
Gesundheit. Und Gott lässt das zu.
Hiob erträgt auch
alle diese Schicksalsschläge zuerst mit tiefer Frömmigkeit und Geduld:
Dann kommen Hiobs
Freunde zu ihm. Sie haben von seinem Unglück gehört und wollen ihn trösten.
Doch sie erkennen
ihn zuerst überhaupt nicht. Weil Hiob so von seiner Krankheit entstellt ist.
Sieben Tage und
sieben Nächte sitzen seine Freunde dann mit ihm in Staub und Asche.
Sie schweigen und
sagen kein einziges Wort. Weil sie sehen, dass sein Schmerz groß ist.
Hiob selbst bricht
dann das Schweigen. Und er beginnt, zu klagen.
Es bricht richtig
aus ihm heraus. Er verflucht den Tag seiner Geburt. Will die ganze Schöpfung
umkehren. Fordert Gott selbst zum Rechtsstreit auf.
„Warum muss ich so
leiden, Gott? Ich habe doch nichts verbrochen!“
Seine Freunde
versuchen ihn zu beruhigen, ihn zurecht zu weisen.
Doch Hiob hört
nicht auf sie.
Er klagt. Mit aller
Kraft, die noch in ihm ist.
„Du, Gott, hast meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum.“
Am Ende bricht das
Gespräch mit seinen Freunden ab.
Und Gott selbst
stellt sich Hiobs Klage.
Gott gibt Hiob
keine einfache Antwort. Hiob erfährt nicht, warum er so leiden muss.
Stattdessen stellt
Gott Hiob Fragen. Fragen, auf die Hiob nichts zu antworten weiß.
Doch dann, am Ende
gibt Gott Hiob recht. „Du allein, Hiob, hast richtig von mir geredet.
In deinen Klagen
und Vorwürfen hast du recht von mir geredet.“
Weil Gott selbst an
dem Leiden leidet. Weil es keine einfache Antwort gibt.
Klagen können. Gott
gibt mir den Raum, damit ich klagen kann.
Er ist mein
Gegenüber in Augenblicken tiefster Einsamkeit. Mein Wohin für all das Leid.
Nein, ich habe
keine einfache Antwort darauf, warum es Krieg gibt.
Warum Menschen
einander töten.
Doch ich weiß, dass
Krieg und Leid gegen Gottes Willen sind.
Dass Gott selbst in
seinem Sohn Jesus Christus darunter leidet. Und dass Gott einmal alles Leid
beenden wird. Das hat er versprochen.
Deswegen klage ich Gott
alles Leid. Und bitte ihn um Kraft: es zu ertragen, wo nötig und etwas dagegen
zu tun, wo ich es kann.
Ihr Thorsten
Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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