Wohin mit meiner Klage

Kirche in WDR3 | 19.04.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Ich höre

Nachrichten und weiß oft nicht: Wohin mit all dem Leid?

Die zerbombten

Städte in der Ukraine, die vielen Mütter, Kinder auf der Flucht.

Wohin mit meiner

Ohnmacht, meiner Wut, meinem Entsetzen?

Ein Ventil für die

Seele. Das bräuchte ich. Jemanden, dem ich all das klagen kann.

Klagen ist für mich

dabei etwas anderes als Jammern.

Beim Jammern drehe

ich mich nur wehleidig um mich selbst.

Klagen dagegen hat

ein Gegenüber.

Ich klage einem

guten Freund, was mich belastet.

Und indem ich das

tue, verändert sich was in mir.

Doch wohin, wenn

das Leid viel zu groß wird?

Ich selbst habe

viel über das Klagen aus dem Buch Hiob in der Bibel gelernt.

Es handelt von

einem Menschen, der auch nicht weiß: Wohin mit all dem Leid?

Hiob verliert in

kurzer Zeit alles: erst seinen Besitz, dann seine Kinder, schließlich die

Gesundheit. Und Gott lässt das zu.

Hiob erträgt auch

alle diese Schicksalsschläge zuerst mit tiefer Frömmigkeit und Geduld:

Dann kommen Hiobs

Freunde zu ihm. Sie haben von seinem Unglück gehört und wollen ihn trösten.

Doch sie erkennen

ihn zuerst überhaupt nicht. Weil Hiob so von seiner Krankheit entstellt ist.

Sieben Tage und

sieben Nächte sitzen seine Freunde dann mit ihm in Staub und Asche.

Sie schweigen und

sagen kein einziges Wort. Weil sie sehen, dass sein Schmerz groß ist.

Hiob selbst bricht

dann das Schweigen. Und er beginnt, zu klagen.

Es bricht richtig

aus ihm heraus. Er verflucht den Tag seiner Geburt. Will die ganze Schöpfung

umkehren. Fordert Gott selbst zum Rechtsstreit auf.

„Warum muss ich so

leiden, Gott? Ich habe doch nichts verbrochen!“

Seine Freunde

versuchen ihn zu beruhigen, ihn zurecht zu weisen.

Doch Hiob hört

nicht auf sie.

Er klagt. Mit aller

Kraft, die noch in ihm ist.

„Du, Gott, hast meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum.“

Am Ende bricht das

Gespräch mit seinen Freunden ab.

Und Gott selbst

stellt sich Hiobs Klage.

Gott gibt Hiob

keine einfache Antwort. Hiob erfährt nicht, warum er so leiden muss.

Stattdessen stellt

Gott Hiob Fragen. Fragen, auf die Hiob nichts zu antworten weiß.

Doch dann, am Ende

gibt Gott Hiob recht. „Du allein, Hiob, hast richtig von mir geredet.

In deinen Klagen

und Vorwürfen hast du recht von mir geredet.“

Weil Gott selbst an

dem Leiden leidet. Weil es keine einfache Antwort gibt.

Klagen können. Gott

gibt mir den Raum, damit ich klagen kann.

Er ist mein

Gegenüber in Augenblicken tiefster Einsamkeit. Mein Wohin für all das Leid.

Nein, ich habe

keine einfache Antwort darauf, warum es Krieg gibt.

Warum Menschen

einander töten.

Doch ich weiß, dass

Krieg und Leid gegen Gottes Willen sind.

Dass Gott selbst in

seinem Sohn Jesus Christus darunter leidet. Und dass Gott einmal alles Leid

beenden wird. Das hat er versprochen.

Deswegen klage ich Gott

alles Leid. Und bitte ihn um Kraft: es zu ertragen, wo nötig und etwas dagegen

zu tun, wo ich es kann.

Ihr Thorsten

Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/57975_WDR3520220419Latzel.mp3

  • 19.4.2022
  • Thorsten Latzel
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