Der erstaunliche Satz von der Freiheit

Kirche in WDR2 | 12.08.2022 | 00:00 Uhr

„Ich fühle mich zum ersten

Mal richtig frei.“, sagt er. „Hier im Knast.“ Ich schaue ihn an. Ungläubig. Ich

sehe stabile Stahlgitter an den Fenstern. Dicke Mauern. Alle paar Meter gibt es

eine Tür, zu der er keinen Schlüssel hat. Freiheit sehe ich nicht. Er erzählt:

Von seiner Kindheit, aufgewachsen inmitten von Drogen und Gewalt. Von Schlägen

und Verwahrlosung. Erzählt davon, wie er selber drogenabhängig wird. Mit 12.

Und wie er schließlich als Erwachsener genau das tut, worunter er früher bei

seinen Eltern am meisten gelitten hat.

Er konsumiert. Schlägt.

Alles wiederholt sich. „Ich

bin gefangen gewesen in einem Leben, das mich unglücklich gemacht hat.“, sagt

er. „Mich, meine Umwelt, meine Familie. Alle. Hier im Knast“, sagt er, „bin ich

eingesperrt. Aber ich bin das alte Leben los. Ich fühle mich frei.“ Ich grüble:

Seltsam. Wie beengend kann ein Leben sein, das äußerlich frei scheint. Aber das

man so gar nicht leben will. Und wie frei kann man sich fühlen, obwohl alles

nach Einschränkung und Zwang aussieht. Wie ist das bei mir?

Äußerlich bin ich frei. Ich

gehe zum Supermarkt oder zum Bäcker, wann ich will. Ich setze mich in die

Eckkneipe. Oder auch nicht. Ich bin frei. Und auch wieder nicht. Denn natürlich

gibt es auch für mich Begrenzungen, die ich nicht übertreten darf. Mein Chef

sagt mir, wann ich was zu arbeiten habe. Das Schild an der Straße sagt mir, wie

schnell ich fahren darf. Als Kind habe ich gelernt, was sich gehört und was

nicht. Überall rings um mich sind Regeln, Einschränkungen, Zwänge, Sorgen.

Unsichtbare Mauern. Manche habe ich so verinnerlicht, dass ich sie nicht einmal

mehr bemerke. Und doch halten sie mich so oft davon ab, so zu sein, wie ich eigentlich

gerne wäre. Weil man mich nicht lässt. Weil ich mich nicht traue. Weil es sich

einfach nicht gehört. Natürlich, ich bin frei. Und irgendwie doch nicht. Und dann

sitzt da ein Mann vor mir: Im Gefängnis. Eingesperrt. Aber frei. Von innen

heraus. Weil er zu sich gefunden hat. Ob es diese innere Freiheit ist, von der

in der Bibel steht: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“? (2. Kor

3,17). Frei sein, weil man angekommen ist in seinem Leben. Weil man seinen Ort

kennt und sein Ziel. Und sich nicht hindern lässt, auf dieses Ziel zuzugehen.

Erfüllt von einem Geist, mit dem man innere Mauern überspringen kann. Das ist

eine innere Freiheit, von der ich manchmal auch gerne mehr hätte.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 12.8.2022
  • Thomas Schrödter
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