Ich sitze in der Bahn auf dem
Weg zur Uni. Während ich im Rucksack nach meinen Kopfhörern krame, höre ich mit
halbem Ohr einem Gespräch zu. „Guck mal, kennste den hier?“ Ich schaue kurz
auf. Ein Typ hält seinem Kollegen sein Handy unter die Nase: „Ja, aber den mag
ich nicht. Mein Bruder kennt den und meinte, der soll voll komisch sein.“
Ich finde meine Kopfhörer.
Und wundere mich. Die Aussage „Der soll voll komisch sein?“, reicht aus, um
jemanden nicht zu mögen? Rekordverdächtiges Urteil. Aufgrund nur einer
Bemerkung seines Bruders meint er, zu wissen, wie die Person auf dem Foto ist.
Dabei scheint er ihm nie begegnet zu sein. Ich bin kurz davor, mich ins
Gespräch einzumischen, als mir eine Erkenntnis in den Kopf schießt: Ich bin ja
kein Stück besser. Nur weil ich ein Gesprächsfetzen gehört habe, glaube ich,
die Jungs vor mir beurteilen und in der Kategorie „Dumpfbacken“ einsortieren zu
können. Stimmt vielleicht, aber die Zufallsbegegnung in der S-Bahn und der
kleine Wortwechsel sind viel zu wenig, um eine brauchbare Aussage treffen zu
können.
Ein Mensch ist wie ein Riesen-Puzzle.
Man braucht viele kleine Einzelteile, wie gemeinsame Erlebnisse, Gespräche,
seine Vergangenheit und mehr, um ihn kennenzulernen. Das dauert. Und Hörensagen
reicht nie. Die Wahrheit erfahren wir in der direkten Begegnung mit den
anderen.
Sprecher: Jan Primke
Redaktion: Daniel Schneider
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