Guten
Morgen
„Auweia,
geht’s auch eine Nummer kleiner!?“, denke ich beim Traugespräch mit dem jungen
Paar.
„Ihr
sollt vollkommen sein, wie auch euer Vater im Himmel vollkommen ist“
(Matthäusevangelium 5,48) diesen Satz von Jesus aus der Bergpredigt haben sich
die beiden ausgesucht – als Segensspruch und als Motto für ihr junges Glück. So
richtig lange kennen sie sich noch nicht, ein Kind ist unterwegs und der
Trauschein verhilft der Braut zugleich zum Recht, in Deutschland zu bleiben.
Wenn auch erstmal nicht mehr als Studentin in der Großstadt, sondern als
Mutter. Im Haus der Schwiegereltern auf einem hessischen Dorf.
Zwei
Jahrzehnte ist das her. Aber die zwei sind mir im Gedächtnis geblieben mit
ihrem Optimismus, und mit meiner Skepsis. Und von Herzen hoffe ich, dass sie
ihr Glück behalten haben und immer neu gefunden.
„Ihr
soll vollkommen sein.“ Noch immer halte ich das für einen zu hohen, vielleicht
sogar gefährlichen Anspruch. Erst recht, wenn er sich an eine Partnerschaft
richtet. Scheitern nicht allzu viele Beziehungen genau daran, dass zwei
Menschen voneinander buchstäblich alles erwarten? Das ganze Glück, alle
Erfüllung und jeden Sinn, den das Leben bieten soll … Wie soll das gehen, und
wer soll das schaffen?
„Ihr
werdet sein wie Gott“ – so vollkommen, so großartig. In der Erzählung vom
verlorenen Paradies lockt die Schlange Adam und Eva mit diesem verlogenen
Versprechen. Auch wenn wir seit Adam und Eva einen ganz schönen Sprung gemacht
haben im Können und Wissen, in unseren Möglichkeiten, die Natur zu nutzen und
uns zu schützen – wir machen Fehler, sind oft genug den Gewalten der Natur
ausgeliefert. Und Allmacht und Allwissenheit, die einst Gott vorbehalten waren,
sind unterdessen zum irrwitzigen Traum blutiger Diktatoren oder zum Kennzeichen
anonymer Maschinen geworden.
Wie
Gott sein? Bitte zu Hause nicht nachmachen!
In
der Bibel lese ich immer wieder: Gott ist Gott und die Menschen dürfen Menschen
bleiben. Bloß an einem Punkt, da ist es anders. In der Bergpredigt. Wo Jesus
den Menschen empfiehlt, sich an der Vollkommenheit Gottes auszurichten. Nicht
an seinem Wissen oder seiner Macht. Sondern Jesus sagt: Seid barmherzig wie
Gott. Orientiert euch an seiner Freude am Vergeben, an seiner Lust an der Güte
und seiner Kraft nicht nur meine Nächsten, sondern auch meinen Feind, meine
Feindin zu lieben.
Dumm
nur, dass genau hier, unser Ehrgeiz offenbar nicht besonders groß ist. Und umso
wunderbarer, dass Gott uns das trotzdem weiter zuzutrauen scheint. Denn
„Wir
sind bestimmt (…) [Gott] zu ‚gleichen‘“, so hat es der jüdische
Religionsphilosoph Martin Buber einmal formuliert. Wir sind zum Bild Gottes geschaffen.
Und das heißt nicht, meine Macht und Stärke an seiner zu messen, sondern meine
Seele „ihm anzunähern“.
Auch
das ist ein hoher Anspruch und es ist ein großartiges Versprechen. Und eine
Liebe, Beziehungen, Freundschaften, in denen ich das mit anderen leben kann –
gütig sein, verzeihen, aufeinander zugehen – das ist schon nah an der
Vollkommenheit.
Einen
gesegneten Tag wünscht Ihnen
Ihr
Jan-Dirk Döhling aus Bielefeld
Quellen: Martin Buber, Nachahmung Gottes
in: Martin Buber Werksausgabe, Band 8, herausgegeben von Paul Mendes-Flohr und
Peter Schäfer , Gütersloh 2005, Seiten 35-48, Zitat Seite 40.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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