Noch nie hat sie so einen
Satz gehört. Und noch nie hat sie sich so gedemütigt gefühlt.
Sie sitzt an ihrem kleinen
Tisch, hält die Tränen zurück und zieht ihren Ring vom Daumen. Sie dachte
immer, das sieht cool aus, so ein Ring am Daumen. Aber der hat ihr heute auch
nichts genützt. Heute hat ihr überhaupt nichts genützt. Nicht ihr schickes
Outfit, nicht der Blick, den sie für solche Treffen aufzusetzen pflegt, und
erst recht nicht der Versuch, sich fünf Jahre jünger zu machen. Der Mann hat
sich ein bisschen darauf eingelassen, war auch zunächst ganz nett. Aber
irgendwann ist er aufgestanden und hat gesagt: „Okay, ich denke, das reicht
jetzt. Das ist alles ganz hübsch hier und wie du auftrittst, das ist durchaus
überzeugend. Aber trotzdem: Jeder sieht doch, dass dein Mindesthaltbarkeitsdatum
längst abgelaufen ist. Also vergiss es!“
Dann hat er sich umgedreht
und ist gegangen. Hat sie sitzen lassen an ihrem kleinen Tisch mit ihrem
fassungslosen Gesicht und diesem Ring am Daumen. Der nun gar nicht mehr cool
wirkt, sondern einfach nur stört. Was er eigentlich schon die ganze Zeit getan
hat, wenn sie ehrlich ist.
Und jetzt? Nicht mal Geld für
die Rechnung hat er hingelegt! Nur diesen Satz hat er ihr hinterlassen: „Dein
Mindesthaltbarkeitsdatum ist längst abgelaufen!“ Mein Gott, das ist so
arrogant, so begutachtend! Als wäre sie ein Becher Joghurt, den man im Laden
nicht mitnimmt, weil er morgen schon nicht mehr genießbar sein könnte.
Als der Kellner fragt, ob sie
noch was trinken will, schüttelt sie nur den Kopf. Sie will lieber zahlen und
nach Hause gehen. Oder sonst wohin, Hauptsache weg von hier!
Aber ihre Demütigung wird sie
mitnehmen. Wie einen schweren Klotz, den sie mit sich herumschleppt. Der sie
‘runterzieht und sie immer wieder neu traurig macht.
Es wird sie wenig trösten,
dass dem Mann einige Zeit später etwas Ähnliches passiert. Nur, dass er dabei
auch finanziell ganz fürchterlich über den Tisch gezogen wird. Seine Arroganz
fällt ihm dann auf die eigenen Füße. Aber was soll ihr das im Moment helfen?
Helfen können ihr andere
Menschen. Für die sie kein Mindesthaltbarkeitsdatum hat. Bei denen sie
stattdessen einfach sein kann, wie sie ist. Auch mit ihrem wirklichen Alter.
Sie braucht Menschen, denen sie nichts vormachen muss. Bei denen sie uncool
sein darf und sogar traurig oder niedergeschlagen. Menschen, die sie aufrichten
und annehmen. So wie Gott das tut.
Denn Gott sieht sie nicht
nur, wie sie wirklich ist. Gott akzeptiert sie auch so. Vor ihm darf sie
einfach sie selbst sein. Denn für ihn hat sie kein Mindesthaltbarkeitsdatum.
Und seine Liebe zu ihr hat auch keins.
Redaktion: Rundfunkpastorin
Sabine Steinwender-Schnitzius
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