Nein, er sieht wirklich nicht
gut aus: Die Wangen eingefallen. Abgemagert. Die Haut grau. Ich habe ihn anders
in Erinnerung: Sportlich. Fit. Voller Tatendrang. Ein erfolgreicher Ingenieur
in leitender Position. Beruflich sehr engagiert. Und immer stolz auf seine
Leistung. Diesmal aber erzählt er nicht von großen Plänen. Nicht von Erfolgen.
Diesmal erzählt er von seiner Krankheit. Die hat ihn ohne Vorwarnung erwischt.
Direkt vom Schreibtisch ins Krankenhaus. Und es ist dramatisch: Lange ist
unklar, ob er überhaupt überlebt. Erst langsam wendet sich das Blatt. Er ist
wieder zuhause. Wird sogar wieder arbeiten können. Auch wenn es nie wieder wie
früher werden wird. „Also, irgendwie bin ich echt dankbar für diese
Erfahrung!“, sagt er. Ich stutze. Was hat er gesagt? Er erklärt: „Früher, da
habe ich ganz für meinen Job gelebt. Kaum zuhause, immer unterwegs, dienstlich.
Meine Frau hat die Kinder praktisch allein aufgezogen. Mein Leben hat der Firma
gehört. Natürlich habe ich auch etwas bekommen: Gutes Geld verdient. Das große
Auto in der Garage. Und das gute Gefühl: Ich kann es besser als die anderen.
Aber dann liege ich da in
meinem Krankenzimmer. Und merke: Erfolg haben und leben, das sind zwei
verschiedene Dinge. Mein Leben gehört nicht der Firma. Es gehört nicht der
Karriere. Leben ist viel mehr. Und oft habe ich an meine Frau gedacht. Sagt er.
Und an meine Kinder. Wie traurig sie sind meinetwegen. Habe gemerkt: Mein Leben
gehört noch nicht einmal mir selbst. Nicht allein. Es gehört auch den Menschen,
die mich lieben. Ja, sagt er, ich bin dankbar für diese Krankheit. Weil sie mir
die Chance gegeben hat, das zu erkennen. Ich nicke.
Ich muss an Jesus denken. An
diese eine Szene, wo er einmal vor den Leuten steht, eine Münze in der Hand.
Und sagt: Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört. Und gebt Gott, was Gott
gehört. Auf der Münze sieht man das Bild vom Kaiser. Sie gehört ihm. Aber ein
Mensch ist das Bild Gottes: voller Leben, Liebe, Hoffnung. Er gehört keinem
Kaiser. Keiner Macht, keinem Staat. Keinem Beruf. Keiner Idee. Keiner Religion.
Nicht einmal allein sich selbst. Er gehört Gott. Er gehört dem Leben.
Ich gestehe: Dieses Gespräch
hat bei mir Spuren hinterlassen. Immer wieder kommt bei mir seit diesem Tag die
Frage hoch: Wem gehört eigentlich mein
Leben? Meiner Arbeit? Meinen vermeintlich so wichtigen Terminen? Dem, was „man“
so von mir erwartet? Wen lasse ich über mich herrschen? Und dann hoffe ich,
dass ich nie vergesse, dass ein Mensch letztlich Gott gehört und somit dem
Leben.
Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius
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