Guten Morgen.
„Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses
antun. Sondern wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm
auch deine andere Backe hin,“ (Basisbibel, Matthäus 5,39) steht in der Bibel.
Aber Moment mal. Soll ich wirklich Angriffe über mich ergehen lassen und mich
nicht wehren? Nachgeben, beschwichtigen, damit es aufhört? Gemeint ist hier gerade
nicht, mich zum Opfer machen zu lassen. Das merkt man, wenn man die Situation
mal ganz praktisch nachvollzieht. Wenn mich jemand mit der rechten Hand auf
meine rechte Backe schlägt, dann geht das entweder nur mit dem Handrücken oder
die Person ist Linkshänder, also so richtig funktioniert das nicht. Dann auch
noch die linke Wange hinzuhalten heißt so viel wie: „Hier, sieh mich an und
wenn du mich schon schlagen willst, dann nochmal richtig. Und Du wirst sehen,
ich bleibe standhaft.“
Haltung bewahren, bei seinem Standpunkt bleiben. Sich
und die Person, die angreift, ernst nehmen. Das ist in der Bibel gemeint. Als
Jesus vor dem Hohen Rat verhört wird, gibt ihm ein Gerichtsdiener eine
Ohrfeige. (Johannes 18,22) Jesus hält ihm nun im übertragenen Sinn die andere
Backe hin. Er fragt ihn, warum er ihn geschlagen hat. Er begibt sich auf
Augenhöhe, bleibt bei dem, was er für richtig hält, weicht nicht zurück und
geht dabei das Risiko ein, dass ihm mit weiteren Schlägen geantwortet wird. Er
bewahrt dabei den Respekt vor sich selbst und vor dem Angreifer. Allerdings
geht er dann den Weg der Gewaltfreiheit konsequent weiter. Und das kostet ihn
das Leben.
Interessante Gedanken für die Debatte darüber, wie
sich Christen zu den Waffenlieferungen an die Ukraine verhalten sollen. Was
verschafft den Ukrainern die Augenhöhe – auch für Verhandlungen und mögliche
nicht militärische Auswege aus dem Krieg? Und wo heizt man den Krieg nur
unnötig an? Wo ist es ein Zurückschlagen. Was ist noch Wahrung der eigenen
Würde – und die berechtigte Frage: Hey, warum machst du das? Steh zu dem, was
du machst und eigentlich willst und verbräme es nicht mit an den Haaren herbeigezogenen
Begründungen oder gar Lügen.
Wann ist die Lage aussichtslos und eskaliert
unverantwortbar angesichts von hunderten von Toten täglich auf beiden Seiten?
Wann ist Rückzug angesagt? Waffen bringen die Ukrainer auf Augenhöhe mit dem
Angreifer – doch kann die Verteidigung mit Waffen auf unbestimmte Zeit, die so
viele Menschenleben kostet, ein richtiger Weg sein?
„Die Aufgabe der Kirche Jesu Christi ist es, auf der
Seite der Opfer zu stehen und Jesus in seinem Weg der Gewaltlosigkeit zu
folgen.“ (1) Das hat kürzlich der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche
in Deutschland, Landesbischof Friedrich Kramer, formuliert. Geht das beides in
der Lage, in der sich die Ukraine gerade befindet? Einfach ist das wirklich nicht
mit der rechten und der linken Backe. Vielleicht auch nicht in jeder Lage der
richtige Weg. Vermutlich wird man auch egal wie man sich verhält auf eine Weise
schuldig. Jedenfalls gibt es auch für Christen noch viel zu diskutieren im
Blick auf Krieg und Frieden. Was bin ich bereit in Kauf zu nehmen, wenn ich
Jesu Weg konsequent folge? Was ist, wenn ich damit nicht die Gewaltspirale
durchbrechen kann? Es kann mich und viele andere das Leben kosten. Und kann ich
das überhaupt so entscheiden, wenn ich für viele andere mit Verantwortung
trage? Was meinen Sie?
Ihre
Barbara Schwahn, Krefeld.
(1) „Mehr Waffen, mehr Tod. Gespräch mit dem
EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Krämer über seine Position zum
Ukrainekrieg“, in: Zeitzeichen 7/2022, S. 10.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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