Rechte Backe – linke Backe

Kirche in WDR3 | 22.09.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

„Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses

antun. Sondern wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm

auch deine andere Backe hin,“ (Basisbibel, Matthäus 5,39) steht in der Bibel.

Aber Moment mal. Soll ich wirklich Angriffe über mich ergehen lassen und mich

nicht wehren? Nachgeben, beschwichtigen, damit es aufhört? Gemeint ist hier gerade

nicht, mich zum Opfer machen zu lassen. Das merkt man, wenn man die Situation

mal ganz praktisch nachvollzieht. Wenn mich jemand mit der rechten Hand auf

meine rechte Backe schlägt, dann geht das entweder nur mit dem Handrücken oder

die Person ist Linkshänder, also so richtig funktioniert das nicht. Dann auch

noch die linke Wange hinzuhalten heißt so viel wie: „Hier, sieh mich an und

wenn du mich schon schlagen willst, dann nochmal richtig. Und Du wirst sehen,

ich bleibe standhaft.“

Haltung bewahren, bei seinem Standpunkt bleiben. Sich

und die Person, die angreift, ernst nehmen. Das ist in der Bibel gemeint. Als

Jesus vor dem Hohen Rat verhört wird, gibt ihm ein Gerichtsdiener eine

Ohrfeige. (Johannes 18,22) Jesus hält ihm nun im übertragenen Sinn die andere

Backe hin. Er fragt ihn, warum er ihn geschlagen hat. Er begibt sich auf

Augenhöhe, bleibt bei dem, was er für richtig hält, weicht nicht zurück und

geht dabei das Risiko ein, dass ihm mit weiteren Schlägen geantwortet wird. Er

bewahrt dabei den Respekt vor sich selbst und vor dem Angreifer. Allerdings

geht er dann den Weg der Gewaltfreiheit konsequent weiter. Und das kostet ihn

das Leben.

Interessante Gedanken für die Debatte darüber, wie

sich Christen zu den Waffenlieferungen an die Ukraine verhalten sollen. Was

verschafft den Ukrainern die Augenhöhe – auch für Verhandlungen und mögliche

nicht militärische Auswege aus dem Krieg? Und wo heizt man den Krieg nur

unnötig an? Wo ist es ein Zurückschlagen. Was ist noch Wahrung der eigenen

Würde – und die berechtigte Frage: Hey, warum machst du das? Steh zu dem, was

du machst und eigentlich willst und verbräme es nicht mit an den Haaren herbeigezogenen

Begründungen oder gar Lügen.

Wann ist die Lage aussichtslos und eskaliert

unverantwortbar angesichts von hunderten von Toten täglich auf beiden Seiten?

Wann ist Rückzug angesagt? Waffen bringen die Ukrainer auf Augenhöhe mit dem

Angreifer – doch kann die Verteidigung mit Waffen auf unbestimmte Zeit, die so

viele Menschenleben kostet, ein richtiger Weg sein?

„Die Aufgabe der Kirche Jesu Christi ist es, auf der

Seite der Opfer zu stehen und Jesus in seinem Weg der Gewaltlosigkeit zu

folgen.“ (1) Das hat kürzlich der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche

in Deutschland, Landesbischof Friedrich Kramer, formuliert. Geht das beides in

der Lage, in der sich die Ukraine gerade befindet? Einfach ist das wirklich nicht

mit der rechten und der linken Backe. Vielleicht auch nicht in jeder Lage der

richtige Weg. Vermutlich wird man auch egal wie man sich verhält auf eine Weise

schuldig. Jedenfalls gibt es auch für Christen noch viel zu diskutieren im

Blick auf Krieg und Frieden. Was bin ich bereit in Kauf zu nehmen, wenn ich

Jesu Weg konsequent folge? Was ist, wenn ich damit nicht die Gewaltspirale

durchbrechen kann? Es kann mich und viele andere das Leben kosten. Und kann ich

das überhaupt so entscheiden, wenn ich für viele andere mit Verantwortung

trage? Was meinen Sie?

Ihre

Barbara Schwahn, Krefeld.

(1) „Mehr Waffen, mehr Tod. Gespräch mit dem

EKD-Friedensbeauftragten Friedrich Krämer über seine Position zum

Ukrainekrieg“, in: Zeitzeichen 7/2022, S. 10.

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59241_WDR3520220922Schwahn.mp3

  • 22.9.2022
  • Dr. Barbara Schwahn
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