
Guten Morgen!
Mit einem Paukenschlag
eröffnet die Bibel die Menschheitsgeschichte: Kain erschlägt seinen Bruder Abel.
Am Anfang ein Mord. Und dieser erste Mord ist ein brutaler Mord unter Geschwistern.
Bauer der eine, Schäfer der
andere. Mehr erfahren wir nicht über die beiden. Und dann: Kain schlägt seinen Bruder
Abel tot. Eine erschütternd schonungslose Geschichte. Seht her, so ist es um uns
Menschen bestellt. Hass und Gewalt stecken in uns allen drin. Kein Wunder, dass
die Welt voller Schrecken und Krieg ist. Und jedes Menschenleben nur ein Hauch.
„Hauch“ ist übrigens die wörtliche
Bedeutung des Namens Abel. „Häwäl“: das hebräische Wort selbst ist ein Hauch. Kain,
der Erstgeborene, der Erbe, der Bauer ist ein ganz anderer Typ als sein Bruder.
So ist das im Leben: Die einen kommen mit goldenem Löffel im Mund zur Welt, die
anderen mit schlechter Gesundheit. Die einen haben einen miesen Job, die
anderen ein großes Erbe. Gott sieht wohlwollend auf Abel und seine Opfergabe, heißt
es in der biblischen Erzählung. Kains Opfergabe dagegen sieht Gott nicht. Und
da fängt das Unheil an. Ausgerechnet Kain, gewohnt, dass man ihn zuerst sieht,
wird von Gott nicht beachtet. Da entflammt sein Zorn, wird erzählt, und er
senkt finster den Blick.
Mit gekränkten Großen ist nicht zu spaßen, lehrt
die Geschichte von Kain und Abel. Gegenwärtig lehrt es uns die Geschichte
wieder ganz neu.
Mich erschreckt, wie gut ich Kain verstehen kann. Wie
nah ich ihm bin in seiner Wut, als sein Opfer von Gott nicht gesehen wird. Es
gibt keinen Grund dafür, dass Gott die Brüder unterschiedlich behandelt. Jedenfalls
wird in der Erzählung keiner genannt. Wen würde solche scheinbare Willkür nicht
fuchsen? Und manche, je nach Mentalität, macht sie fuchsteufelswild.
Und doch ist das keine Entschuldigung. Denn da ist diese Stimme Gottes, die zu Kain spricht:
Warum senkst du deinen Blick? Wenn‘s dir gut auskommt, schaust du stolz. Wenn’s
dir aber nicht gut auskommt, lauert die Sünde vor deiner Tür. Sie hat Verlangen
nach dir. Doch du – du musst sie beherrschen!
Niemand sagt, dass das
einfach ist. Wie kann das gehen?
Es gibt an dieser Stelle in
der Geschichte der Bibel einen denkwürdigen kleinen Satz. Genau genommen: einen
halben Satz: „Da sagte Kain zu Abel, seinem Bruder“, so geht es los, und nach
diesem Halbsatz kommt nichts. Er bleibt seltsam offen in der Luft hängen, verendet
in Schweigen.
Die Übersetzer hat das
irritiert, sie hielten es nicht aus und fügten ihrerseits ein: „Lass uns aufs
Feld gehen.“ Urspünglich steht das da nicht. Das Gespräch hört auf, bevor es
angefangen hat.
Und dann kommt der Mord!
Und ich denke: Hätte Kain
doch gesprochen! Hätte er doch ein Wort gesagt. Hätten sie miteinander geredet!
Vielleicht hätte Abels Blut dann nicht zum Himmel schreien müssen.
Einen gesegneten Tag wünscht
Ihnen Annette Kurschus aus Bielefeld.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/59429_WDR3520221019Kurschus.mp3