Guten Morgen.
Über den schneebedeckten Wipfeln geht die
Sonne auf. Ich genieße den Ausblick von meinem Balkon. Das Panorama der 3000er
ist atemberaubend.
Aber mir ist auch mulmig zumute. In der
Ukraine ist Krieg. Viele Menschen müssen sterben.
Andere fliehen.
Ich fühle mich zerrissen, habe ein schlechtes
Gewissen.
Ein paar Urlaubstage genießen und gleichzeitig
vom Krieg nebenan zu wissen.
Meinen Mitreisenden geht das ähnlich. Die
Situation in der Ukraine dominiert die Gespräche beim Frühstück und
zwischendurch. Es tut gut, dann aber einmal abzuschalten, es sich gut gehen zu
lassen.
Trotzdem fällt es schwer, im Urlaubsmodus zu
bleiben.
Genießen im Angesicht von Krieg und Terror?
Das Leben feiern, wenn anderswo in Europa Menschen unschuldig sterben? Geht
das, darf ich das?
Wenn ich ehrlich bin, war es doch noch nie
anders. Konflikte, Streit und bedrohliche Krisen, die gab es schon immer.
Zwischen Menschen und Völkern, Ländern und Machthabern. Sogar auch in der
Bibel.
Zwischen Kain und Abel, David und Goliath bis
hin zur ersten christlichen Gemeinde, von der das Neue Testament erzählt. Da
waren sich auch nicht alle immer einig, ein Herz und eine Seele. Eigentlich ist
das ja Realität. Mein Leben – schon immer ausgespannt zwischen Extremen.
Zwischen Freude und Leid, Fest und Trauer.
Mit dieser Ambivalenz muss ich leben und
umgehen. Jeden Tag. Schon immer.
Der Krieg in der Ukraine rückt nur so
erschreckend nahe an mein eigenes Leben heran.
Und es fühlt sich schwerer an als sonst, diese
Realität auszuhalten. Erholsame Urlaubstage und Krieg und Leid finden
gleichzeitig statt. Das ist krass und lässt sich nicht auflösen, so sehr ich
mir das wünsche.
Was mir trotz allem hilft, ist mein Glaube.
Der Gott, an den ich glaube, möchte Frieden und nicht Streit. Gott ist es, von
dem der Frieden ausgeht und der uns Menschen den Frieden zusagt. Und uns auch
zutraut, Frieden zu halten. Und doch gelingt es uns nicht. Das ist bitter.
Aber der Gott, der den Frieden will, weint
auch mit den Weinenden und freut sich mit den Fröhlichen. In Gott, der der
Friede ist, ist alles aufgehoben.
Und neben den grausamen Szenen des Krieges schenkt
Gott mir Bilder vom Leben, von seiner wunderbaren Schöpfung. Von Bergen, blauem
Himmel und Sonne.
Von Schnee und Alpenpanorama. Damit ich das
Helle und Frohe hochhalten und meine Seele auftanken kann. Damit ich Kraft
schöpfe, um zu Hause, zurück im Alltag, anderen wieder Hände zu reichen.
Darum darf das Genießen sogar seine
Zeit haben. Ja, muss es sogar. Immer wieder.
Beim Essen am Tisch teilen wir Reisenden
miteinander unsere Sorgen und Ohnmacht. Bringen unsere Zerrissenheit zum
Ausdruck.
Nicht sprachlos bleiben; klagen, auf Frieden
hoffen, für ihn beten und ihn wagen das ist wichtig, geht mir durch den Kopf.
Der Krieg wird dadurch nicht beendet. Es wird
weiter geschossen und gebombt. Gott weint mit den Weinenden und schenkt uns
seinen Frieden, damit wir ihn in die Welt tragen.
Und über den Wipfeln der Schweizer Berge geht
langsam die Sonne unter und wieder auf.
Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.
Redaktion:
Landespfarrerin Petra Schulze
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