Guten
Morgen.
Vor
genau 100 Jahren waren sie im Ruhrgebiet an der Tagesordnung: Ausgangssperren,
Barrikaden und Straßenkontrollen.
Anfang
1923 beginnt die Ruhrbesetzung. 60.000 Soldaten aus Frankreich und Belgien
sollen sicherstellen, dass Deutschland die Millionen Tonnen an Kohle, Holz und
Stahl liefert, die ihm von den Siegermächten auferlegt worden sind – als
Reparationen für die Zerstörungen im 1. Weltkrieg.
Die deutsche Regierung ruft die Bevölkerung zu
passivem Widerstand auf. Beamten wird verboten, den Anordnungen der Besatzer
Folge zu leisten. Auf beiden Seiten regiert die Angst. Die Menschen im Revier haben Angst vor den
Schikanen der Besatzer, die französischen und belgischen Soldaten fürchten den
Hass der feindlich gesinnten Deutschen – und auch Attentate. Ja, die
Ruhrbesetzung befeuert die angeblich uralte „Erbfeindschaft“ zwischen Franzosen
und Deutschen noch.
Zum
französisch kontrollierten Gebiet gehört damals auch die Stadt Datteln – in der
Emscher-Lippe Region am Nordrand des Reviers. Doch gibt es hier eine
denkwürdige Begegnung, zu der bis heute eine Gedenktafel am Dattelner
Lutherhaus hängt. Es ist Karfreitag vor einhundert Jahren. In Datteln ist
Etienne Bach der französische Kommandant, ein junger Hauptmann aus dem Elsass.
Am Karfreitag will er in die Dattelner Kirche gehen. Freundliche Blicke kann er
da kaum erwarten. In der Kirche erschrickt er. Denn auch der Abendmahlstisch ist
gedeckt. Kann er sich überhaupt da hinwagen – als Feind, ohne abgewiesen zu werden? Als er sich doch dazu entschließt, kommt
es noch schlimmer: Am Tisch mit Brot und Wein steht plötzlich sein ärgster
Widersacher neben ihm: Karl Wille, der deutsche Amtsvorsteher von Datteln.
Hartnäckig weigert der sich, französische Anordnungen auszuführen. Etienne Bach
soll Karl Wille deswegen verhaften – und zwar gleich nach Ostern.
Würden die beiden nun
hier am Altar von dem einen Brot essen, aus einem Kelch trinken? Auch den
Gemeindegliedern stockt das Blut. Am Tisch Jesu Christi sind doch alle einfach
nur Menschen, unterschiedslos, egal, ob Franzosen, Deutsche – oder welcher
Herkunft immer. Wer aus dem einen Kelch trinkt, der ist nicht auf Feindschaft
aus, sondern auf Versöhnung. Die beiden teilen tatsächlich Brot und Wein. Als
sie zurückgehen zu ihrem Platz in der Kirche, geben sie sich still die Hand.
Etienne Bach verhaftet Karl Wille nach Ostern nicht. Und in ihrem schwierigen
Miteinander finden sie Kompromisse.
Und 40
Jahre nach diesem denkwürdigen Karfreitag, 1963, als der deutsch-französische
Freundschaftsvertrag geschlossen worden ist, kommt Etienne Bach noch einmal nach Datteln und
schenkt der Gemeinde einen Kelch für das Dattelner Abendmahl. Schenkt einen
Abendmahlskelch als eindeutiges Zeichen: Auch wenn die Zeiten von Feindschaft
durchtränkt sind, Versöhnung von Feinden ist möglich, selbst wenn sie völlig
unmöglich erscheint.
Einen
gesegneten Palmsonntag und eine gute Karwoche wünsche ich Ihnen.
Redaktion:
Landespfarrerin
Petra Schulze
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