Feinde am Tisch - das Abendmahl von Datteln

Sonntagskirche | 02.04.2023 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen.

Vor

genau 100 Jahren waren sie im Ruhrgebiet an der Tagesordnung: Ausgangssperren,

Barrikaden und Straßenkontrollen.

Anfang

1923 beginnt die Ruhrbesetzung. 60.000 Soldaten aus Frankreich und Belgien

sollen sicherstellen, dass Deutschland die Millionen Tonnen an Kohle, Holz und

Stahl liefert, die ihm von den Siegermächten auferlegt worden sind – als

Reparationen für die Zerstörungen im 1. Weltkrieg.

Die deutsche Regierung ruft die Bevölkerung zu

passivem Widerstand auf. Beamten wird verboten, den Anordnungen der Besatzer

Folge zu leisten. Auf beiden Seiten regiert die Angst. Die Menschen im Revier haben Angst vor den

Schikanen der Besatzer, die französischen und belgischen Soldaten fürchten den

Hass der feindlich gesinnten Deutschen – und auch Attentate. Ja, die

Ruhrbesetzung befeuert die angeblich uralte „Erbfeindschaft“ zwischen Franzosen

und Deutschen noch.

Zum

französisch kontrollierten Gebiet gehört damals auch die Stadt Datteln – in der

Emscher-Lippe Region am Nordrand des Reviers. Doch gibt es hier eine

denkwürdige Begegnung, zu der bis heute eine Gedenktafel am Dattelner

Lutherhaus hängt. Es ist Karfreitag vor einhundert Jahren. In Datteln ist

Etienne Bach der französische Kommandant, ein junger Hauptmann aus dem Elsass.

Am Karfreitag will er in die Dattelner Kirche gehen. Freundliche Blicke kann er

da kaum erwarten. In der Kirche erschrickt er. Denn auch der Abendmahlstisch ist

gedeckt. Kann er sich überhaupt da hinwagen – als Feind, ohne abgewiesen zu werden? Als er sich doch dazu entschließt, kommt

es noch schlimmer: Am Tisch mit Brot und Wein steht plötzlich sein ärgster

Widersacher neben ihm: Karl Wille, der deutsche Amtsvorsteher von Datteln.

Hartnäckig weigert der sich, französische Anordnungen auszuführen. Etienne Bach

soll Karl Wille deswegen verhaften – und zwar gleich nach Ostern.

Würden die beiden nun

hier am Altar von dem einen Brot essen, aus einem Kelch trinken? Auch den

Gemeindegliedern stockt das Blut. Am Tisch Jesu Christi sind doch alle einfach

nur Menschen, unterschiedslos, egal, ob Franzosen, Deutsche – oder welcher

Herkunft immer. Wer aus dem einen Kelch trinkt, der ist nicht auf Feindschaft

aus, sondern auf Versöhnung. Die beiden teilen tatsächlich Brot und Wein. Als

sie zurückgehen zu ihrem Platz in der Kirche, geben sie sich still die Hand.

Etienne Bach verhaftet Karl Wille nach Ostern nicht. Und in ihrem schwierigen

Miteinander finden sie Kompromisse.

Und 40

Jahre nach diesem denkwürdigen Karfreitag, 1963, als der deutsch-französische

Freundschaftsvertrag geschlossen worden ist, kommt Etienne Bach noch einmal nach Datteln und

schenkt der Gemeinde einen Kelch für das Dattelner Abendmahl. Schenkt einen

Abendmahlskelch als eindeutiges Zeichen: Auch wenn die Zeiten von Feindschaft

durchtränkt sind, Versöhnung von Feinden ist möglich, selbst wenn sie völlig

unmöglich erscheint.

Einen

gesegneten Palmsonntag und eine gute Karwoche wünsche ich Ihnen.

Redaktion:

Landespfarrerin

Petra Schulze

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  • 24.4.2023
  • Alfred Buß
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