Jahreslosung 2022

Das geistliche Wort | 01.01.2022 | 00:00 Uhr

Autor: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht

abweisen“ Das ist die Jahreslosung für das Jahr 2022. Schon seit Wochen

gibt es Bilder und Grafiken, Poster und Postkarten, mit diesem biblischen Motiv

für das neue Jahr. Mal sieht man eine geöffnete Tür, mal eine ausgestreckte

Hand, mal ein Schlauchboot mit Geflüchteten im Mittelmeer. Und dazu jedes Mal

diesen Satz: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht

abweisen.“

Musik

1: Morgensol – Bolethe Kristensen

Titel: Morgensol;

Komposition/Interpretin: Bolethe Kristensen; Album: Morgensol Label: 2019

Bolethe Kristensen; LC: unbekannt.

Autor: Abgewiesen, das tut weh…sehr weh. Und das vergisst man so rasch auch

nicht mehr. Wie denn auch… also, ich möchte nie abgewiesen werden. Passiert ist

es mir dennoch, schon mehrere Male in meinem Leben bin ich abgewiesen worden.

Angefangen in meiner Zeit als Jugendlicher, da hatte ich mich unsterblich in ein

zwei Jahre älteres Mädchen verliebt, eine 16-jährige, die von allen begehrt und

ersehnt war. Doch war ich seinerzeit nicht die Nummer 1. Ich war die Nummer 4,

was mir so gar nicht gefiel. – Dann zu Beginn meines Studiums: An der

kirchlichen Hochschule Wuppertal konnte ich im Sommer 1985 nicht landen, es war

schon alles voll, ich kam zu spät… Und schließlich: Aus meinem festen Ferienjob

in Hamburg flog ich auf einmal raus, Einsparungen, Umstrukturierungen, Synergieeffekte.

Ich wurde nicht mehr gebraucht. …Egal, warum und wieso: ich war abgewiesen….

Natürlich werden viele Menschen das so erlebt haben, immer wieder einmal, aber

wenn es einem selbst passiert, tut es besonders weh.

Abgewiesen zu

werden, das gehört zum Leben dazu. Wie gehen wir damit um? Was passiert in

einem solchen Moment mit uns? Wie verkraften wir eine solche Schelte, wie

verarbeiten wir eine solche Zurückweisung? Und vor allem: Was hilft?

Musik 2: Sunrise – Tom Brown Sterling

Titel: Sunrise; Komposition: John de Lira;

Interpret: Tom Brown Sterling; Album: Sunrise – Single; Label: 2020 Tom Brown

Sterling; LC: unbekannt.

Autor: Abgewiesen… was passiert da mit mir? – Eigentlich könnte man sich doch

zurücklehnen in dem Bewusstsein: Eine WEISUNG jedweder Art ist doch oft richtig

und zielführend. Da haben wir die Zu-WEISUNG, die An-WEISUNG, die Über-Weisung oder

die WEISUNG an und für sich. Da passiert etwas Produktives. Jede Art der

Weisung hat ihren Plan, ihre Idee, ihre Vision. Da soll jemand hingewiesen

werden auf eine Vereinbarung, auf eine zielführende Idee oder auf ein

Versprechen. Doch genau damit fangen die Schwierigkeiten an, wie soll man das

erkennen, darauf reagieren, diese Vorstellung umsetzen?! Wie sieht die WEISUNG

dann konkret aus?

Ein Beispiel: Sasha

Stanisic erzählt die Geschichte seiner Familie, hin und her bewegt er sich

zwischen winzigen bosnischen Dörfern und deutschen Städten, zwischen der Erfahrung,

fliehen zu müssen und dem Gefühl, anzukommen und willkommen zu sein. Stanisic

wurde 1978 in der bosnischen Kleinstadt Visegrad geboren. Als 1992 dort der

Krieg ausbricht, flieht seine Mutter mit ihm, dem damals 14-jährigen, vor den

Bomben nach Heidelberg, wo ein Onkel lebt.

Eine Wohnung findet die Familie etwas

außerhalb, im Emmertsgrund, dessen hohe Betonbauten von weither zu sehen sind. Und

in dieser unwirtlichen Gegend trifft Sasha einen Mann, der über den Zaun ein

Gespräch mit ihm beginnt. Was Sasha nicht weiß, dieser Fremde ist Zahnarzt und

sieht sofort, dass Sasha wohl noch nie eine Zahnarztpraxis aufgesucht hat, weil

die Familie dafür einfach kein Geld hat. – Schon bald darauf behandelt dieser

Zahnarzt nicht nur Sasha, sondern seine ganze Familie; und das, ohne etwas

davon in Rechnung zu stellen. Und damit nicht genug: Auch zum Angeln lädt er den

kleinen Jungen samt seinem Opa ein. Denn gibt es belegte Brote sowie

ausreichend Saft und Bier. Sasha Stanisic erzählt seine Geschichte in einem

Buch. Für sein Werk „Herkunft“ erhält er 2019 den deutschen Buchpreis.

Welchen Namen der

Zahnarzt hatte, erfahren wir nicht. Sasha Stanisic nennt ihn einfach: „Dr.

Heimat“. Dieser fremde Mann hatte dem Jungen vermittelt, was das Wort „Heimat“

bedeutet, nämlich: Ins Haus hineingeholt, wenn man selbst kein Zuhause hat. So

verstanden heißt Heimat: Besitz und Begabung, Alltag und Leben zu teilen.

Heimat nimmt wahr, was für die Heimatverlorenen not-wendig ist und ihre Not

wenden kann.

Sasha Stanisic hat inzwischen

hier in Deutschland ein Zuhause gefunden. Natürlich hat dieses Empfinden vor

allem damit zu tun, dass er Dr. Heimat begegnet ist. Diese Zeit hat in ihm

Sehnsucht und Heimweh, Zuversicht und Traurigkeit zugleich zum Vorschein

gebracht und am Ende miteinander versöhnt. Er ist angekommen und zuhause.

Musik

3: Seaside – Alfie Russell

Titel: Seaside;

Komposition: Alfie Russell; Interpret: Alfie Russell; Album NEW AGE 2020 –

Single; Label: 2020 Alfie Russell; LC unbekannt

Autor: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den

werde ich nicht abweisen“. – Wer kann das von uns schon in dieser Klarheit sagen?

„Wer zu mir kommt, den werde ich

nicht abweisen…“ – Ich selbst sehe da einige Widerhaken und Bremsklötze.

Mal ganz ehrlich: Es gibt Menschen, die wir lieber abweisen und nach Hause

schicken möchten, sollten sie allen Ernstes vorhaben, zu uns zu kommen. Es gibt

sie ja, diese ganz abstrusen, abgefahrenen, undurchsichtigen und vor allem

unbequemen Mitbürger. Manchmal tun sie sogar, als seien sie Freunde. Früher sagte

man: „Die würde ich auf den Mond schießen“ oder ironisch: „Die können mich mal

gernhaben“ oder ganz direkt: „Die können mir gestohlen bleiben“… Wie gehen wir

mit ihnen um, was sagen wir ihnen? Manche gehörten vielleicht mal zu uns, aber

da ist längst etwas zerbrochen, was nicht mehr zu heilen ist. Und wenn sie nun

doch so etwas wie Nähe, Begleitung, Aufmerksamkeit und Empathie suchen… wie

reagieren wir darauf? „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen?“

Von wegen. Das ist gar nicht so leicht.

Musik

4: Rèves d’éternité – Amélie Chantal

Titel: Rèves

d’éternité; Komposition: Amélie Chantal; Interpret: Amélie Chantal; Album:

Rèves d’éternité – Single; Label: 2020 AmélieChantal; LC: unbekannt

Autor: Noch so eine Geschichte: Ein jüdischer Großvater

zündet jede Woche vor Beginn des Schabat, also am Freitagnachmittag, zwei

Kerzen für sich und seine Enkelin an. Dann legt er ihr die Hände auf und segnet

sie. Das tut er sehr ausführlich und mit Bedacht. Und jedes Mal ist das Mädchen

gespannt, was sie heute über sich selbst erfahren wird. Und ja… Woche für Woche

preist der alte Mann Gott dafür, dass es seine Enkelin gibt. In den höchsten

Tönen lobt er sie vor dem Angesicht des Höchsten. Er hebt ihren Mut hervor und

bestärkt ihr Bemühen, die Dinge in ihrem Leben zu sortieren und voranzutreiben.

– Und durch seine Sicht auf das, was sie erlebt hat, sieht sich die Enkelin

selbst mit neuen Augen an. Nie fragt der Opa, ob sie denn in der Schule genug

getan und sich ausreichend angestrengt hat. Wichtig für ihn ist nur, DASS sie

da ist. – Der Segen ihres Großvaters bleibt bei dem Mädchen haften, auch als er

einige Jahre später stirbt. Er hat sie bereits mit seiner Liebe gezeichnet und

sie gesegnet. In ihr hat sich dadurch ein „Herzlich willkommen“ eingeprägt. Seine

Sicht auf das Leben hat sich bei dem Mädchen verinnerlicht. Der Großvater ist

durch diese Segenshandlung zu einem Teil von ihr selbst geworden. Seine Stimme

hatte immer neu bekräftigt, wie schön es ist, dass sie da ist. Sie wohnt nun

für immer in ihr. Sein Segen wird sie gewissermaßen wärmen, ein Leben lang. Das

Mädchen hatte spüren können, was die Worte Jesu für sie bedeuten: „Wer zu

mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Viele Jahre ist es

her, seit ich diese Erzählung von Rachel Naomi Remen gelesen habe. Natürlich

habe ich sie seitdem nicht mehr vergessen. Für mich ist es so, als ob die

Enkelin diesen Segen ihres Großpapas weiterreicht, damit auch andere Menschen

einen neuen Blick auf sich selbst gewinnen können. Diese Geschichte ermutigt

mich, genauso herzlich und unvoreingenommen mit meinen Lieben umzugehen, weil

ich sie nur eine Zeit meines Lebens begleiten werde. Da sind die Eltern, die

bald gehen werden, die Kinder, die mich nicht mehr brauchen, die Enkel, denen

ich vielleicht nur auf Abstand und für gewisse Zeit ein Großpapa sein werde.

Ihnen zur Seite zur stehen, sie zu unterstützen, zu herzen, zu stärken und zu

ermutigen, das ist meine Aufgabe hier auf Erden. Sie nicht abzuweisen in der Nachfolge

Jesu. Ich möchte mir diese Weisung ganz bewusst im Neuen Jahr auf die Fahne

schreiben, mir diese Geschichte zu eigen machen.

Musik

5: Firmamentum Mysteria – Arlo Thiem

Titel: Firmamentum

Mysteria; Komposition: Arlo Thiem; Interpret: Arlo Thiem; Album: Spirit of Hule

2021, Label POP 2021 Arlo Thiem; LC: unbekannt

Autor: Und wie ist es umgekehrt? Die meisten haben schon

mal erlebt, wie das ist, kurz vor Geschäftsschluss noch eben hineingelassen zu werden.

Oder aber in einer Behörde, zur Verlängerung des Personalausweises, des

Reisepasses oder anderer wichtiger Dokumente. Oder aber in ein Krankenhaus

hineingelassen zu werden, auch wenn die Besuchszeit längst vorbei ist. Ein

gutes Gefühl, noch hineinzukommen und mit dem Anliegen „zu landen“.

Es gibt aber auch

andere Situationen, die vielen schon etwas mehr bedeuten: Jemand ist umgezogen

und sucht Anschluss. Kommt er hinein in diesen Freundeskreis, wird sie

eingeladen zum Theater-Abo und zu Geburtstagsfeiern? Davon hängt viel ab. Es

ist ein Risiko. Diejenigen, die jemanden hineinlassen, öffnen sich, riskieren

etwas. Und der oder die aufgenommen werden will ebenso. Und was ist, wenn ein

Paar sich getrennt hat: Wer wird jetzt zu wem eingeladen? Werde ich vielleicht

nicht offen abgewiesen, aber doch irgendwann „vergessen“?

Und schließlich gibt

es Situationen, in denen jemand Hilfe braucht. So wie die geflüchtete Familie

aus Bosnien. Der Patient mit Atemnot im überfüllten Krankenhaus. Der Mann,

Mitte 50, der das erste Mal zur „Tafel“ geht. Die Angehörigen, die eben noch

ihre Mutter im Krankenhaus besuchen wollen. Nicht abgewiesen zu werden: Das ist

ein gutes Gefühl für mich, wenn ich in Not bin und Heimat suche. Und es ist ein

selbstverständlicher Auftrag für uns Christenmenschen. Genau hinzusehen und

zuzuhören, wenn jemand kommt und Heimat sucht. Denn Jesus Christus spricht: „Wer

zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Musik 6: Journey in Place – Walter Groenig

Titel: Journey in

Place; Komposition: Walter Groenig; Interpret: Walter Groenig; Album: Ambient,

2020; Label 2020 Walter Groenig; LC unbekannt

Autor: „Wer zu

mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Das konnten Menschen in der Nähe

Jesu tatsächlich erleben. Viele biblische Geschichten erzählen davon. Zum

Beispiel die vom blinden Bartimäus. Er ist blind von Geburt an. Bartimäus sitzt

allein an einer Straße auf einer Decke , um nach Almosen und Zuwendung zu

betteln. Doch eines Tages hört er, denn das kann er besonders gut, dass Jesus

in die Stadt kommt. Als er Jesus und seine Jünger durch seine Straße ziehen

hört, ruft er. Doch nichts geschieht. Er ruft lauter: Jesus, Jesus. Wieder

kommt keiner zu ihm. Jesus fragt zwar, wer denn da nach ihm ruft, doch seine Freunde

winken ab mit dem Kommentar: Das ist nur ein armer blinder Bettler. Daraufhin

nimmt Bartimäus nun seinen ganzen Mut und seine ganze Kraft zusammen und brüllt

geradezu los: Jesus, Jesus, erbarme dich meiner. Nun bleibt Jesus stehen und

schaut nach ihm. Er wendet sich ihm zu und fragt: Was willst du, dass ich für

dich tun soll? Bartimäus erkennt und nutzt seine womöglich einzige Chance,

einmal in seinem Leben Sehen zu können. Er bittet Jesus um Heilung. Und genau

so geschieht es auch: Bartimäus wird sehend. Und Jesus fügt hinzu: Und nun geh

hin, dein Glaube hat dir geholfen.

Jesus hat ihn

nicht abgewiesen, so wie die Jünger, im Gegenteil, er hat sich seiner

angenommen: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ – So wie es auch

Sasha Stanisic bei „Dr. Heimat“ und die Enkeltochter bei ihrem Großpapa

erfahren haben: Nicht abgewiesen sondern aufgenommen zu werden. Das bleibt ein

grundlegendes, menschliches Bedürfnis von uns allen.

Noch ein

letzter Aspekt ist mir wichtig im Blick auf die Jahreslosung aus Johannes 6. Was

mir in dieser besonderen und herausfordernden Zeit hilft, ist das GEBET. Ich stelle

mir vor, dass ganz viele im Gebet um Gottes Nähe und Zuspruch bitten. Es sind

Worte, die in besonderer Weise in diese verrückte und unbequeme Zeit hineingesprochen

werden.

„Guter Gott,

wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr. Viel Leid und Trauer aus den

vergangenen Monaten lässt uns eher vorsichtig und zögerlich das neue Jahr

begrüßen. Die Folgen der Corona-Pandemie sind bei weitem noch nicht

abzuschätzen. Entwarnung ist noch lange nicht in Sicht. Wir blicken mit großer

Sorge in das Neue Jahr. Und deshalb wende ich mich heute an dich, den Schöpfer

der Welt, den Vollender allen Seins, den Bewahrer des Lebens. Lass uns nicht

allein in den zu erwartenden Ereignissen des neuen Jahres. Gib uns alles das,

was wir dazu brauchen an Kraft, an Liebe, an Verständnis, an Geduld aber auch

an Neugier, um den neuen Situationen begegnen zu können. Wir brauchen deine

Begleitung und deinen Zuspruch, um das Leben annehmen zu können, wie du es uns

zumutest, wie du es uns schenkst. Denn dessen sind wir gewiss: Du wirst unser

Flehen, unser Bitten und unsere Bedürftigkeit nicht abweisen, sondern annehmen.

Wie dein Sohn Jesus Christus uns zugesagt hat: Wer zu mir kommt, den werde ich

nicht abweisen“ so glauben wir fest an deine Begleitung und Fürsorge. Darauf

vertrauen wir, darauf bauen wir. AMEN“

Aus

Düsseldorf-Gerresheim grüßt Sie zu Beginn des Neuen Jahres 2022 herzlich.

Ihr Pfarrer Rainer Withöft

Musik 7: Birdman – Abbie Lou Johnston

Titel: Birdman; Komposition: Abbie Lou Johnston; Interpret:

Abbie Lou Johnston; Album: New Age 2020; Label: Abbie Lou Johnston; LC

unbekannt

Quellen:

Saša Staniši?, “Herkunft”, München 2019

Rachel Naomi Remen: “My Grandfather’s Blessing” Riverhead Books; San Francisco 2001.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus

Reinmuth

  • 1.1.2022
  • Rainer Withöft
  • © Pixabay/Sabine Vanerb