Musik 1: Orgel solo
Titel: Bis hierher hat mich Gott gebracht; Album: Helmut Walcha: Chorale
preludes Vol. 4; Interpret: Delbert Disselhorst (Orgel); Melodie: Helmut
Walcha, unter Verwendung einer Melodie von Peter Sohren (1668) Label: Naxos;
Labelcode: LC 05537.
Autor: „Ich
hab‘ mal ‘ne Frage.“ Der Konfirmand sieht mich erwartungsfroh an. Wir nehmen im
Unterricht gerade das Glaubensbekenntnis durch und da ist ihm jetzt etwas
aufgefallen: „Wieso kommt in diesem Text so oft das Wort heilig vor?“
Den Satz „Ich glaube an den
Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche“ kann er noch einigermaßen
einordnen. Aber direkt danach ist von der „Gemeinschaft der Heiligen“ die Rede
– und das versteht er nicht. „Warum Gemeinschaft der Heiligen? In der
Evangelischen Kirche gibt‘s doch gar keine Heiligen!“
Verständlich, dass der Junge
da irritiert ist. Tatsächlich aber kommt der Begriff der Heiligen auch in der
Evangelischen Kirche vor. Im Glaubensbekenntnis ebenso wie in dem Lied „Ich
glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben“. Das steht nicht nur im
Evangelischen Gesangbuch. Sondern wurde auch von einem Protestanten gedichtet.
Musik 2: Chor a Capella (1. Strophe)
Titel: Ich glaube, dass die Heiligen; Text: Philipp
Friedrich Hiller (1731); Melodie: Peter Sohren
(1668), Halle (1704); Interpreten: Das Solistenensemble; Leitung: Gerhard
Schnitter; Album: Philipp Friedrich Hiller – Mir ist Erbarmung widerfahren;
Label: Hänssler: LC: 07224.
Sprechertext: Ich glaube, dass die Heiligen im Geist
Gemeinschaft haben, weil sie in einer Gnade stehn und eines Geistes Gaben. So
viele Christus nennet sein, die haben alles Gut gemein und alle Himmelsschätze.
Autor: Die
Heiligen werden hier beschrieben als Menschen, die durch den Geist Gottes
miteinander verbunden sind und bestimmte Gaben haben. Also Fähigkeiten und
Talente, die Gott ihnen geschenkt hat. Das entscheidende Charakteristikum steht
aber in der Mitte der Strophe. Es lautet: „So viele Christus nennet sein“.
Das bedeutet: Nicht wir
Menschen definieren, was „Heilige“ sind. Sondern Jesus Christus benennt
diejenigen, die dazugehören. Wie viele das sind, wissen wir nicht. Und ob
überhaupt jemand davon ausgeschlossen ist, wissen wir auch nicht.
Klar ist aber: Christus
beschränkt sich bei seiner Auswahl nicht auf Menschen, die besonders toll sind.
Oder die besonders viel geleistet haben und zum Beispiel jede Menge gute Taten
vorweisen können. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Menschen unter der
Gnade Gottes stehen. Und diese Gnade Gottes gilt erst mal jedem. Die kann man
sich auch nicht verdienen, die bekommt man geschenkt.
Musik 3: Bläserquartett
Titel: Bis
hierher hat mich Gott gebracht (nach Peter Sohr); Album: Claus-Robert Kruse:
early works (1971 – 1974); Interpret: Bläserquartett; Melodie: Claus-Robert
Kruse unter Verwendung einer Melodie von Peter Sohren (1668); Label: oh yes!; LC: 06843 Records
Autor: Sowohl
in diesem Lied als auch im Glaubensbekenntnis ist der Begriff „Heiliger“ keine
Bezeichnung für eine Elite. Wenn es überhaupt etwas gibt, das diese Menschen
von anderen abhebt, dann ist es ihre Überzeugung. Ihr Glaube daran, dass sie
tatsächlich von Gott mit seiner Gnade beschenkt werden. Mit anderen Worten: Wer
glaubt, ist heilig.
Dabei gilt die Gnade Gottes
für alle Gläubigen in gleicher Weise. Es gibt also keine Unterschiede – etwa,
weil die eine mehr Gnade nötig hätte als der andere. Hierarchien oder
persönliche Überheblichkeit haben deshalb in dieser Gemeinschaft keinen Platz.
Und wenn sie in der realen Kirche doch vorkommen, dann ist das ein fatales
Zeichen. Und gleichzeitig ein Auftrag, sich immer wieder neu daran zu
orientieren, wie Gemeinschaft unter Christen eigentlich aussehen sollte: die
christliche Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden.
Schon in der biblischen Pfingstgeschichte
bekommen schließlich nicht nur die Jünger den Heiligen Geist, sondern alle
Menschen, die sich taufen lassen. Sie alle werden somit zu „Heiligen“ im Sinne
dieses Liedes. Unter ihnen entsteht eine Gemeinschaft, in der sich alle vom
Wort und von der Gnade Gottes angesprochen fühlen dürfen. Und jede und jeder
ist eingeladen zu den Sakramenten Taufe und Abendmahl.
Musik 2: Chor a Capella (2. Strophe)
Sprechertext: Denn in der neuen Kreatur ist keiner
klein noch größer; wir haben einen Christus nur, den einigen Erlöser. Das
Licht, das Heil, der Morgenstern, Wort, Tauf und Nachtmahl unsres Herrn ist
allen gleich geschenket.
Autor: „Wir
haben einen Christus nur.“ Das ist im Gesangbuch extra kursiv gedruckt. Damit
deutlich wird: Dieses Lied ist ein Bekenntnislied. Ein gesungenes Bekenntnis
zum Glauben an Jesus Christus nach dem Motto: „Ich glaube, darum singe ich.“
Diese Worte stammen von Philipp Friedrich Hiller, der 1731 das Lied „Ich
glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben“ veröffentlicht hat. In seinen
Texten ging es Philipp Friedrich Hiller vor allem darum, für einfache Menschen
einen Zugang zum Glauben zu eröffnen. Was durchaus funktioniert hat, denn es
ist überliefert, dass Bauern im Winter beim Strohschneiden seine Liederbücher
auf ein Bord gestellt und auswendig gelernt haben.
Insgesamt hat Philipp
Friedrich Hiller über 1.000 Lieder geschrieben, weswegen er auch der
„schwäbische Paul Gerhardt“ genannt wird. Durch seine Verse hat er sich eine
Erneuerung der Kirche erhofft, in der alte Verknöcherungen aufgebrochen werden
und in die alle Gläubigen einbezogen sind. Deshalb betont er in diesem Lied
immer wieder die Gemeinschaft, die gerade in schweren Zeiten so wichtig ist.
Musik 2: Chor a Capella (4. Strophe)
Sprechertext: Ein jeder trägt des andern Last um seines Hauptes willen; denn wer der
andern Lasten fasst, lernt das Gesetz erfüllen, worin uns Christus vorangeht.
Dies köstliche Gebot besteht in einem Worte: Liebe.
Autor: So
hat sich Philipp Friedrich Hiller die Kirche gewünscht: als eine Gemeinschaft,
die sich an ihrem Haupt – also Christus – orientiert und in der Menschen
einander helfen, sich gegenseitig stärken und trösten. Und somit die Liebe
weitergeben, die uns Jesus vorgelebt und aufgetragen hat. Liebe ist überhaupt
das Entscheidende in der Kirche und im Glauben. Sie muss gelebt werden, so dass
jeder die Hilfe bekommt, die er braucht, jede so angenommen wird, dass es ihr guttut.
Aus diesem Grund ist das Wort „Liebe“ so pointiert an das Ende dieser Strophe
gesetzt.
Ursprünglich hatte dieses Lied
übrigens 12 Strophen. Von denen sind aber nur fünf in das Evangelische
Gesangbuch übernommen worden, darunter die erste und die letzte.
Musik 2: Chor a Capella (5. Strophe)
Sprechertext: Ich will mich der Gemeinschaft nicht der Heiligen entziehen; wenn
meinen Nächsten Not anficht, so will ich ihn nicht fliehen. Hab ich
Gemeinschaft an dem Leid, so lass mich an der Herrlichkeit auch einst
Gemeinschaft haben.
Autor: Auch
in dieser letzten Strophe wird deutlich, dass Nächstenliebe für die
Gemeinschaft der Heiligen unerlässlich ist. Menschen in Not nicht allein zu
lassen, sich ihnen nicht zu entziehen, sondern ihnen zu helfen oder zumindest
Anteil zu nehmen an ihrer Situation – das ist es, was die Heiligen charakterisiert
und auszeichnet.
Interessanterweise ist diese
letzte Strophe wieder in Ich-Form gehalten. Das war auch schon in der ersten
Strophe so, während in den übrigen Versen immer von „wir“ und „uns“ die Rede
ist. Durch diesen Wechsel wird allen, die dieses Lied singen, die Möglichkeit geboten,
persönlich in die Gemeinschaft der Heiligen einzutreten. Wer sich darauf
einlässt, für den eröffnet sich am Ende des Liedes ein Ausblick über dieses
Leben hinaus, hin zur Gemeinschaft in der Herrlichkeit Gottes.
Sprechertext: Hab ich Gemeinschaft an dem Leid, so lass mich an
der Herrlichkeit auch einst Gemeinschaft haben.
Musik 1: Orgel solo
Autor (overvoice): Die Gemeinschaft der Heiligen darf man sich also nicht zu klein denken.
Sie reicht weiter als die eigene Gemeinde, auch weiter als die evangelische
oder katholische Kirche. Zur Gemeinschaft der Heiligen gehören mit Sicherheit
Menschen, bei denen ich mir das gar nicht vorstellen kann. Und ebenso Leute,
die ich da persönlich gar nicht haben möchte.
Aber gerade, weil diese
Gemeinschaft nicht von Menschen abhängig ist, sondern durch die Gnade Gottes
gestiftet wird, ist sie viel umfassender, als ich mir das träumen lasse. Sie
ist so grenzenlos wie die Liebe Gottes, offen für Sie und mich und für jeden
anderen Menschen.
Musik 1: Orgel
solo
s.o.
Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth