"Ich glaube, dass die Heiligen“ eg 253

Choralandacht | 11.02.2023 | 00:00 Uhr

Musik 1: Orgel solo

Titel: Bis hierher hat mich Gott gebracht; Album: Helmut Walcha: Chorale

preludes Vol. 4; Interpret: Delbert Disselhorst (Orgel); Melodie: Helmut

Walcha, unter Verwendung einer Melodie von Peter Sohren (1668) Label: Naxos;

Labelcode: LC 05537.

Autor: „Ich

hab‘ mal ‘ne Frage.“ Der Konfirmand sieht mich erwartungsfroh an. Wir nehmen im

Unterricht gerade das Glaubensbekenntnis durch und da ist ihm jetzt etwas

aufgefallen: „Wieso kommt in diesem Text so oft das Wort heilig vor?“

Den Satz „Ich glaube an den

Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche“ kann er noch einigermaßen

einordnen. Aber direkt danach ist von der „Gemeinschaft der Heiligen“ die Rede

– und das versteht er nicht. „Warum Gemeinschaft der Heiligen? In der

Evangelischen Kirche gibt‘s doch gar keine Heiligen!“

Verständlich, dass der Junge

da irritiert ist. Tatsächlich aber kommt der Begriff der Heiligen auch in der

Evangelischen Kirche vor. Im Glaubensbekenntnis ebenso wie in dem Lied „Ich

glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben“. Das steht nicht nur im

Evangelischen Gesangbuch. Sondern wurde auch von einem Protestanten gedichtet.

Musik 2: Chor a Capella (1. Strophe)

Titel: Ich glaube, dass die Heiligen; Text: Philipp

Friedrich Hiller (1731); Melodie: Peter Sohren

(1668), Halle (1704); Interpreten: Das Solistenensemble; Leitung: Gerhard

Schnitter; Album: Philipp Friedrich Hiller – Mir ist Erbarmung widerfahren;

Label: Hänssler: LC: 07224.

Sprechertext: Ich glaube, dass die Heiligen im Geist

Gemeinschaft haben, weil sie in einer Gnade stehn und eines Geistes Gaben. So

viele Christus nennet sein, die haben alles Gut gemein und alle Himmelsschätze.

Autor: Die

Heiligen werden hier beschrieben als Menschen, die durch den Geist Gottes

miteinander verbunden sind und bestimmte Gaben haben. Also Fähigkeiten und

Talente, die Gott ihnen geschenkt hat. Das entscheidende Charakteristikum steht

aber in der Mitte der Strophe. Es lautet: „So viele Christus nennet sein“.

Das bedeutet: Nicht wir

Menschen definieren, was „Heilige“ sind. Sondern Jesus Christus benennt

diejenigen, die dazugehören. Wie viele das sind, wissen wir nicht. Und ob

überhaupt jemand davon ausgeschlossen ist, wissen wir auch nicht.

Klar ist aber: Christus

beschränkt sich bei seiner Auswahl nicht auf Menschen, die besonders toll sind.

Oder die besonders viel geleistet haben und zum Beispiel jede Menge gute Taten

vorweisen können. Entscheidend ist vielmehr, dass diese Menschen unter der

Gnade Gottes stehen. Und diese Gnade Gottes gilt erst mal jedem. Die kann man

sich auch nicht verdienen, die bekommt man geschenkt.

Musik 3: Bläserquartett

Titel: Bis

hierher hat mich Gott gebracht (nach Peter Sohr); Album: Claus-Robert Kruse:

early works (1971 – 1974); Interpret: Bläserquartett; Melodie: Claus-Robert

Kruse unter Verwendung einer Melodie von Peter Sohren (1668); Label: oh yes!; LC: 06843 Records

Autor: Sowohl

in diesem Lied als auch im Glaubensbekenntnis ist der Begriff „Heiliger“ keine

Bezeichnung für eine Elite. Wenn es überhaupt etwas gibt, das diese Menschen

von anderen abhebt, dann ist es ihre Überzeugung. Ihr Glaube daran, dass sie

tatsächlich von Gott mit seiner Gnade beschenkt werden. Mit anderen Worten: Wer

glaubt, ist heilig.

Dabei gilt die Gnade Gottes

für alle Gläubigen in gleicher Weise. Es gibt also keine Unterschiede – etwa,

weil die eine mehr Gnade nötig hätte als der andere. Hierarchien oder

persönliche Überheblichkeit haben deshalb in dieser Gemeinschaft keinen Platz.

Und wenn sie in der realen Kirche doch vorkommen, dann ist das ein fatales

Zeichen. Und gleichzeitig ein Auftrag, sich immer wieder neu daran zu

orientieren, wie Gemeinschaft unter Christen eigentlich aussehen sollte: die

christliche Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden.

Schon in der biblischen Pfingstgeschichte

bekommen schließlich nicht nur die Jünger den Heiligen Geist, sondern alle

Menschen, die sich taufen lassen. Sie alle werden somit zu „Heiligen“ im Sinne

dieses Liedes. Unter ihnen entsteht eine Gemeinschaft, in der sich alle vom

Wort und von der Gnade Gottes angesprochen fühlen dürfen. Und jede und jeder

ist eingeladen zu den Sakramenten Taufe und Abendmahl.

Musik 2: Chor a Capella (2. Strophe)

Sprechertext: Denn in der neuen Kreatur ist keiner

klein noch größer; wir haben einen Christus nur, den einigen Erlöser. Das

Licht, das Heil, der Morgenstern, Wort, Tauf und Nachtmahl unsres Herrn ist

allen gleich geschenket.

Autor: „Wir

haben einen Christus nur.“ Das ist im Gesangbuch extra kursiv gedruckt. Damit

deutlich wird: Dieses Lied ist ein Bekenntnislied. Ein gesungenes Bekenntnis

zum Glauben an Jesus Christus nach dem Motto: „Ich glaube, darum singe ich.“

Diese Worte stammen von Philipp Friedrich Hiller, der 1731 das Lied „Ich

glaube, dass die Heiligen im Geist Gemeinschaft haben“ veröffentlicht hat. In seinen

Texten ging es Philipp Friedrich Hiller vor allem darum, für einfache Menschen

einen Zugang zum Glauben zu eröffnen. Was durchaus funktioniert hat, denn es

ist überliefert, dass Bauern im Winter beim Strohschneiden seine Liederbücher

auf ein Bord gestellt und auswendig gelernt haben.

Insgesamt hat Philipp

Friedrich Hiller über 1.000 Lieder geschrieben, weswegen er auch der

„schwäbische Paul Gerhardt“ genannt wird. Durch seine Verse hat er sich eine

Erneuerung der Kirche erhofft, in der alte Verknöcherungen aufgebrochen werden

und in die alle Gläubigen einbezogen sind. Deshalb betont er in diesem Lied

immer wieder die Gemeinschaft, die gerade in schweren Zeiten so wichtig ist.

Musik 2: Chor a Capella (4. Strophe)

Sprechertext: Ein jeder trägt des andern Last um seines Hauptes willen; denn wer der

andern Lasten fasst, lernt das Gesetz erfüllen, worin uns Christus vorangeht.

Dies köstliche Gebot besteht in einem Worte: Liebe.

Autor: So

hat sich Philipp Friedrich Hiller die Kirche gewünscht: als eine Gemeinschaft,

die sich an ihrem Haupt – also Christus – orientiert und in der Menschen

einander helfen, sich gegenseitig stärken und trösten. Und somit die Liebe

weitergeben, die uns Jesus vorgelebt und aufgetragen hat. Liebe ist überhaupt

das Entscheidende in der Kirche und im Glauben. Sie muss gelebt werden, so dass

jeder die Hilfe bekommt, die er braucht, jede so angenommen wird, dass es ihr guttut.

Aus diesem Grund ist das Wort „Liebe“ so pointiert an das Ende dieser Strophe

gesetzt.

Ursprünglich hatte dieses Lied

übrigens 12 Strophen. Von denen sind aber nur fünf in das Evangelische

Gesangbuch übernommen worden, darunter die erste und die letzte.

Musik 2: Chor a Capella (5. Strophe)

Sprechertext: Ich will mich der Gemeinschaft nicht der Heiligen entziehen; wenn

meinen Nächsten Not anficht, so will ich ihn nicht fliehen. Hab ich

Gemeinschaft an dem Leid, so lass mich an der Herrlichkeit auch einst

Gemeinschaft haben.

Autor: Auch

in dieser letzten Strophe wird deutlich, dass Nächstenliebe für die

Gemeinschaft der Heiligen unerlässlich ist. Menschen in Not nicht allein zu

lassen, sich ihnen nicht zu entziehen, sondern ihnen zu helfen oder zumindest

Anteil zu nehmen an ihrer Situation – das ist es, was die Heiligen charakterisiert

und auszeichnet.

Interessanterweise ist diese

letzte Strophe wieder in Ich-Form gehalten. Das war auch schon in der ersten

Strophe so, während in den übrigen Versen immer von „wir“ und „uns“ die Rede

ist. Durch diesen Wechsel wird allen, die dieses Lied singen, die Möglichkeit geboten,

persönlich in die Gemeinschaft der Heiligen einzutreten. Wer sich darauf

einlässt, für den eröffnet sich am Ende des Liedes ein Ausblick über dieses

Leben hinaus, hin zur Gemeinschaft in der Herrlichkeit Gottes.

Sprechertext: Hab ich Gemeinschaft an dem Leid, so lass mich an

der Herrlichkeit auch einst Gemeinschaft haben.

Musik 1: Orgel solo

Autor (overvoice): Die Gemeinschaft der Heiligen darf man sich also nicht zu klein denken.

Sie reicht weiter als die eigene Gemeinde, auch weiter als die evangelische

oder katholische Kirche. Zur Gemeinschaft der Heiligen gehören mit Sicherheit

Menschen, bei denen ich mir das gar nicht vorstellen kann. Und ebenso Leute,

die ich da persönlich gar nicht haben möchte.

Aber gerade, weil diese

Gemeinschaft nicht von Menschen abhängig ist, sondern durch die Gnade Gottes

gestiftet wird, ist sie viel umfassender, als ich mir das träumen lasse. Sie

ist so grenzenlos wie die Liebe Gottes, offen für Sie und mich und für jeden

anderen Menschen.

Musik 1: Orgel

solo

s.o.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

  • 11.2.2023
  • Martin Vogt
  • (Kirche im WDR)