Der Zebrastreifenkönig

Kirche in WDR3 | 25.08.2022 | 00:00 Uhr

Guten Morgen.

Vermutlich

kennen Sie das auch: Man fährt mit dem Auto auf einen Zebrastreifen zu – so wie

ich kürzlich in der Kölner Innenstadt. Und bei dem Gewusel von Menschen ist die

Wahrscheinlichkeit natürlich ziemlich hoch, dass da jemand drüber gehen will

und ich anhalten zu muss. Selbstverständlich. Die Straßenbahnhaltestelle links

sorgt für einen fast ununterbrochen Menschenstrom. Wann kommt denn nun endlich

die Lücke zwischen den Passanten, die mir erlaubt, dass ich weiterfahre? Die

Regel ist klar: Du starker Autofahrer oder Du, mächtige Autofahrerin, wartest

bis auch wirklich der letzte Fußgänger, die letzte Fahrradfahrerin, der letzte

Straßenbahngast, der letzte Rollerfahrer, die letzte Dame mit ihrem Foxterrier in

aller Seelenruhe die Straße überquert hat.

So die

Situation. Ich stelle mich also auf eine längere Wartezeit ein. Da sehe ich,

dass mit dem Menschenstrom von links ein Mann auf den Zebrastreifen zusteuert.

Ein Mann, der aussieht wie jemand, der wahrscheinlich obdachlos ist, einer von

denen, die es richtig schwer haben

müssen; und daher auch einer von denen, denen man von Herzen gönnen würde, dass

das Recht ausnahmsweise mal auf ihrer Seite ist. Und so ein Zebrastreifen ist nun

mal eine hervorragende Gelegenheit, das eigene Recht in Anspruch zu nehmen.

Aber dann! Ich denk, ich seh` nicht recht: Auf einmal

breitet dieser Mann die Arme weit aus und hält damit abrupt den Strom der Leute

hinter ihm auf. Mit der nächsten Geste winkt er dann uns Autofahrern zu und

lässt zwei oder drei von uns passieren. Kurze ritterliche Verbeugung und der Menschenstrom

über dem Zebrastreifen fließt weiter… Sowas Nettes – denke ich. Der Mann war

einen Augenblick lang König, und wir kleinen Autofahrer Nutznießer seiner Gunst

und Freundlichkeit. Er selbst hat nichts davon gehabt und sich wahrscheinlich auch

den berechtigten Ärger der anderen Zebrastreifen-Überquerer eingehandelt. Aber

für diesen kurzen Moment der Freiheit, der Freundlichkeit und Großzügigkeit

bin ich dankbar.

Vielleicht

fragt sich der eine oder die andere, ob dieses Erlebnis alleine schon eine kirchliche

Morgenandacht ausmacht. Ich würde sagen: Ja. Denn ich sehe es so: Freundlichkeit,

Freiheit und ein uneigennütziges Herz sind Gottesgeschenke.

Ihnen allen

einen schönen Tag, Ihre Pfarrerin Nicola Thomas-Landgrebe aus Köln.

Redaktion:

Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58920_WDR3520220825Landgrebe.mp3

  • 25.8.2022
  • Nicola Thomas-Landgrebe
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