O-Ton
1: Und dann habe ich den allerersten Ring aufgehoben, das weiß ich noch. Einen
kleinen Goldring, und hab gedacht: So, das ist das erste Schmuckstück, das du
gerettet hast… So fing das alles an im Sommer und seither ist nichts ist mehr
wie es vorher einmal war.
Autorin: Arnd Kulla steht
in seinem Schmuckgeschäft in Bad Neuenahr. Ungewöhnlich eingerichtet war es
einmal mit Antiquitäten. Liebevoll zusammengesucht.
O-Ton
1b: ich weiß noch, wie ich im Laden stand und dachte Was machst du jetzt? Wo
fängst du jetzt an in diesem Chaos? Es war noch alles nass. Ich habe bis zu den
Knien noch im Schlamm gestanden und im Wasser. Wo fängst du an, um das wieder
aufzuräumen?
Das
war der 14. Juli 2021. Da stieg die Ahr immer höher. Nachts Starkregen. Dann
wurde die Altstadt überflutet. Und damit auch das Geschäft von Arnd Kulla.
Seine Frau ist evangelische Pfarrerin und auch er ist als Pastor ausgebildet.
Das
Schmuckgeschäft, das einmal seiner Tante gehört hat,
O-Ton
2: …war der Ort, wo ich am längsten in meinem Leben verbracht habe. Also Schule
war bis dahin so der längste Lebensabschnitt. Das waren 13 Jahre und im Laden
hatte ich jetzt das 14. Jahr vollendet. Das war auf einmal kaputt.
Zum
Glück wohnen sie weiter draußen. Ihnen ist nichts passiert. Trotzdem. Der
Schaden ist groß. Manches lässt sich ersetzen. Anderes nicht.
O-Ton
3: Wo mir das erste Mal wirklich das Herz wehgetan hat, das war, als ich dahin
guckte, wo früher eine Holzwand gewesen war. Und daran hingen Sachen, die meine
beiden Söhne gemacht haben. Die sind jetzt zwölf und sieben, und die hatten mir
zum Vatertag oder zum Geburtstag kleine Sachen gestaltet, wo sie eben Schraubenmuttern
aufgeklebt haben, in Form eines Herzens und dann dazu geschrieben haben: „für
den lieben Papi“ oder ein Bild, wo „Papi ist der Beste“ draufstand.
O-Ton
4: …wenn ich sie gesehen habe, habe ich mich jedes Mal gefreut und Kunden haben
mich auch darauf angesprochen und haben gesagt: Ach guck mal, ihre Kinder haben
die das gemacht? Das ist aber schön und ich habe dann jedes Mal von denen
erzählt und hab mich dran gefreut.
Viele
in den überfluteten Gebieten in NRW und an anderen Orten vermissen besondere
Gegenstände.
O-Ton
6: Und jetzt in der Adventszeit höre ich das ganz oft, dass die Leute sagen:
Unser Weihnachtsschmuck ist nicht mehr da. Und dann ist es halt nicht damit
getan, so den 08 15 Schmuck zu kaufen, sondern das sind oft auch selbst
gebastelte Sachen. Oder geerbter Weihnachtsbaum Schmuck. Da werden die Leute
jetzt noch mal besonders sentimental und kommen noch mal wirklich ans
Schlucken, wenn sie überlegen, wie sie Weihnachten feiern.
Die
geerbten Weihnachtsbaumkugeln oder der Rauschgoldengel, die Bastelarbeiten der
Kinder oder auch die verlorenen Fotoalben der Familie – sie sind ein Sinnbild.
Eine Chiffre meint Arnd Kulla.
O-Ton
7: Das ist eine Chiffre für die Vergangenheit, die man vielleicht mit der
Familie verbracht hat, für die Jahre, die man da unter dem Baum gewesen ist.
Und ich glaube, manchmal haben die Leute Angst, dass mit den Erinnerungsstücken
die Erinnerung auch verloren geht. Meine Hoffnung ist, dass sie im Laufe der
Zeit merken: Das ist es gar nicht. Wir werden neuen Weihnachtsbaum-Schmuck
haben oder neue Erinnerungsstücke an unsere Kinder. Die Erinnerung bleibt da,
auch wenn diese Stücke weg sind. Aber das ist ein langer Prozess, und das ist
ein Trauerprozess. Und das erfordert, glaube ich, genauso viel Arbeit, wie
diese verwüsteten Zimmer und Wohnungen und Läden wiederherzustellen.
Arnd
Kulla arbeitet jetzt mit halber Stelle als Pastor in der Hochwasserseelsorge
der rheinischen Kirche und Diakonie Katastrophenhilfe. Er merkt:
O-Ton
8 Ich bin durch die Menschen um mich rum und um das was ich mit ihnen erlebt
habe. Alles drumherum, das Zuhause und die Fotos und so das sind, sind so
Geländer, an denen man sich festhalten kann und an denen man sich vergewissern
kann, wer man ist. (…) Und wir als Seelsorger helfen jetzt auch dabei, dass
Menschen sich das noch mal neu bewusst machen, wer sie sind und dass das nicht
weg ist dadurch, dass das Zuhause weg ist und die Erinnerungsstücke weg sind. (…)
das gibt Sicherheit und die Sicherheit ist das, was die Menschen zuallererst
mal brauchen, um wieder Fuß zu fassen.
Es
grüßt Sie, Petra Schulze aus Düsseldorf.
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