Rückgrat

Kirche in WDR2 | 18.05.2022 | 00:00 Uhr

In

der kleinen Kirche sind viele junge Leute, Familien mit Kindern, aber auch

Eltern und Großeltern. Die meisten sind schick angezogen.

Es

ist ein katholischer Taufgottesdienst, ich bin auch eingeladen. Für mich ein

ungewohntes Ritual: Noch vor der Taufe, segnet der katholische Amtskollege die

beiden Täuflinge. Dazu legt er seine beiden Hände eng zusammen. So wie er das

macht, sieht es aus wie ein kleines Dach. Er fragt den Täufling: „Sag mal, wozu

ist so ein Dach eigentlich gut?“ „Damit es nicht reinregnet“, antwortet der

Junge. „Und im Sommer, wenn es richtig heiß ist?“ „Dann hat man Schatten.“

Schnell wird klar: So ein Dach beschützt. „Wenn ich euch so die Hände auflege,

sollt ihr spüren: So beschützt mich Gott“, sagt der Pfarrer.

Dann

predigt er über das Doppelgebot der Liebe: Du sollst Gott lieben und deinen

Nächsten wie dich selbst. Das ist das Wichtigste. Aber jetzt ist ja Krieg. Dass

Gott seine geliebten Menschen beschützt, dass er sein Dach aufspannt über

ihnen, das scheint da in den Kriegsgebieten nicht zu funktionieren. Wie kann

das sein? So fragt der Pfarrer. Seine Antwort ist einfach. Das passiert, wenn

Menschen nicht auf Gott vertrauen. Wenn sie Gott sogar vergessen. Ist doch

klar: Wenn ich glaube, dass Gott mich liebt und beschützt, dann weiß ich tief

in meinem Herzen, dass er auch den anderen liebt, und er oder sie genauso leben

darf wie ich. Dann werde ich doch niemandem Gewalt antun. Wo Menschen das

vergessen, irgendwelchen mächtigen Herrschern folgen und nicht Gott, dann kann

so etwas passieren wie Krieg. Manche Soldaten merken schon, wie falsch das

alles ist und desertieren, sie hauen ab. Sie wollen ihren Nächsten nichts

antun.

Das

hat der Kollege aber gut erklärt, denke ich. Später tritt noch eine der

Patinnen ans Mikrofon und liest diesen berühmten Text von Bettina Wegner:

„Ist

son kleines Rückgrat, sieht man fast noch nicht. Darf man niemals beugen, weil

es sonst zerbricht.“ Soldaten, die sich weigern in einem ungerechten Krieg ihre

Nachbarn zu bekämpfen, die haben so ein Rückgrat. Menschen, die Leid und Flucht

aushalten müssen, die brauchen so ein Rückgrat. Und Menschen, die Geflüchteten

ein Obdach bieten, die zeigen Haltung.

Obwohl

ich den Text von Bettina Wegener schon seit Jahrzehnten kenne, wirklich berührt

hat er mich bei dieser Taufe.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 18.5.2022
  • Titus Reinmuth
  • © epd bild/Norbert Neetz
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