Mein Namensgedächtnis ist
wirklich nicht so dolle. Manchmal will ich jemanden anrufen, aber komme einfach
nicht auf den Nachnamen. Oder ich sehe jemand bekanntes und komme nicht mehr
auf den Vornamen. Ich weiß nicht genau, warum das so ist, aber so unfassbar
spielentscheidend ist es für mich ja im Alltag auch nicht. Vergessen kann aber
auch echt tragisch sein. Nach nur wenigen Wochen Abstand besuchte ich gestern meine
Oma im Seniorenheim. Sie leidet seit Jahren an einer Altersdemenz, die ganz
harmlos begann. Damals verlor sie den Schlüssel oder wusste im Wohnzimmer
plötzlich nicht mehr, was sie dort wollte.
Nun gab da ein jahrelanges
kleines Spielchen – der Rhythmus des Klopfens an ihrer Zimmertür im
Seniorenheim musste immer zu dem alten Kirchenlied "Stern auf den ich
schaue" passen. Aber mir wird nicht geöffnet. Vorsichtig gehe ich ins
Zimmer, sie sitzt in ihrem Lieblingssessel, schaut mich an und sagt nach ein
paar Sekunden nur "Wer sind sie?" Das war schlimm für mich. Ihr
ältester Enkel ist einfach aus ihrem Kopf verschwunden. Weg – nur leere. Mit
einem Bild von ihr und uns Enkeln haben wir uns dann doch erinnert, dass wir zusammengehören.
Dass wir uns lange später mit "Machs gut mein Junge", "Bis bald,
meine liebe Oma" verabschieden lässt mich heute noch dankbar sein, dass wir
uns noch mal gesehen haben.
Oma glaubt ihr Leben lang an
Gott. Ich bin froh, dass ich weiß: Gott wird ihren Namen nicht vergessen, wenn
sie einmal vor ihm stehen wird. Selbst wenn meine Oma Gott vergessen hat. Er
wird sie kennen, wie eine Schwester. Das macht mich dankbar!
Sprecher: Jan Primke
Redaktion: Daniel Schneider
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