Vergessen

Kirche in 1Live | 11.01.2022 | 00:00 Uhr

Mein Namensgedächtnis ist

wirklich nicht so dolle. Manchmal will ich jemanden anrufen, aber komme einfach

nicht auf den Nachnamen. Oder ich sehe jemand bekanntes und komme nicht mehr

auf den Vornamen. Ich weiß nicht genau, warum das so ist, aber so unfassbar

spielentscheidend ist es für mich ja im Alltag auch nicht. Vergessen kann aber

auch echt tragisch sein. Nach nur wenigen Wochen Abstand besuchte ich gestern meine

Oma im Seniorenheim. Sie leidet seit Jahren an einer Altersdemenz, die ganz

harmlos begann. Damals verlor sie den Schlüssel oder wusste im Wohnzimmer

plötzlich nicht mehr, was sie dort wollte.

Nun gab da ein jahrelanges

kleines Spielchen – der Rhythmus des Klopfens an ihrer Zimmertür im

Seniorenheim musste immer zu dem alten Kirchenlied "Stern auf den ich

schaue" passen. Aber mir wird nicht geöffnet. Vorsichtig gehe ich ins

Zimmer, sie sitzt in ihrem Lieblingssessel, schaut mich an und sagt nach ein

paar Sekunden nur "Wer sind sie?" Das war schlimm für mich. Ihr

ältester Enkel ist einfach aus ihrem Kopf verschwunden. Weg – nur leere. Mit

einem Bild von ihr und uns Enkeln haben wir uns dann doch erinnert, dass wir zusammengehören.

Dass wir uns lange später mit "Machs gut mein Junge", "Bis bald,

meine liebe Oma" verabschieden lässt mich heute noch dankbar sein, dass wir

uns noch mal gesehen haben.

Oma glaubt ihr Leben lang an

Gott. Ich bin froh, dass ich weiß: Gott wird ihren Namen nicht vergessen, wenn

sie einmal vor ihm stehen wird. Selbst wenn meine Oma Gott vergessen hat. Er

wird sie kennen, wie eine Schwester. Das macht mich dankbar!

Sprecher: Jan Primke

Redaktion: Daniel Schneider

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  • 11.1.2022
  • Jan Primke
  • © CCO Pixabay
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