„Mit Freuden zart“ (eg 108)

Choralandacht | 22.04.2023 | 00:00 Uhr

Autorin: Ein

Ostertag. Christine sitzt mir in unserem Lieblingsrestaurant gegenüber. Mehr

als zwei Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen. Sie und ihr Mann waren in der

Kirchengemeinde sehr aktiv, von Kirchenvorstandsarbeit über

Konfirmandenunterricht bis zum Küsterdienst, man konnte sie überall gebrauchen,

und sie halfen gern. Dann plötzlich, an einem Sonntagmorgen im Sommer, stirbt

Christines Mann. Ohne jedes Vorzeichen. Plötzlicher Herztod. Und alles ist

anders. Wir können das alle nicht fassen. Als die Beerdigung hinter uns liegt,

sagt Christine: „Ich kann das nicht mehr, an Gott glauben. Da ist einfach

nichts mehr. Und den Gottesdienst – das ertrage ich nicht.“ Sie verschwindet

von der Bildfläche, zieht sich von allem zurück. Und auch Gespräche sind jetzt

nicht dran. Und dann, zwei Jahre später, an einem trüben Novembertag, sitzt sie

vor mir und sagt: „Ich habe zurückgefunden. Der Glaube, das ist nicht der von

früher. Aber ich habe wieder Kontakt zu Gott.“ Ein Ostertag im November. Ganz

vorsichtig tastet sich jemand zurück ins Leben, ganz zart beginnt das Vertrauen

zu Gott wieder zu wachsen.

Musik 1: Choral, 1. Strophe

Mit Freuden zart zu dieser Fahrt; Komposition: Bo?hmische Bru?der; Bearbeitung:

Stier, Alfred

Text: Vetter,

Georg; Interpreten: Windsbacher Knabenchor; Leitung: Beringer, Karl Friedrich;

Album: Lobsingt, ihr Völker alle. Große deutsche Kirchenlieder und Choräle;

Label: RONDEAU; LC: 06690

Autorin: Ein

Osterlied aus unserem Gesangbuch hat das eingefangen, dass Osterfreude sehr zart

sein kann. So wie ein Mensch, der aus der Erstarrung und aus tiefer Traurigkeit

herausfindet, ganz vorsichtige Schritte macht. Aber: Bewegung entsteht. „Mit

Freuden zart zu dieser Fahrt lasst uns zugleich fröhlich singen!“ Es geht auf

Fahrt, da löst sich etwas, wenn es Ostern wird, und selbst unsere Sehnsucht, an

den Festtagen nach draußen zu gehen, endlich, nach dem langen Winter, oder zu

verreisen, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, den Ort, den Standpunkt

zu wechseln – selbst diese Sehnsucht ist wie ein Ausdruck für den

Bewegungsdrang, der in der Osterfreude steckt. Die Ostergeschichten der Bibel

sind voller Bewegung: Die Frauen, die mit Jesus verbunden sind, bleiben nicht

trübsinnig zuhause, sondern sie machen sich auf den Weg zum Grab. Die Jünger

veranstalten sogar einen regelrechten Wettlauf dorthin. Sie wollen sehen, was

passiert ist. Und die beiden, die nach Emmaus gehen, auf dem Weg den Fremden

treffen, schließlich noch mit ihm essen, sie können gar nicht versonnen am

Tisch sitzen bleiben, als sie Christus erkennen. Sie müssen los, laufen den

ganzen Weg zurück, sie müssen es den anderen doch erzählen!

Musik 1:

Choral, 2. Strophe

Sprecher (overvoice): Mit Freuden zart zu dieser

Fahrt lasst uns zugleich fröhlich singen, beid, groß und klein, von Herzen rein

mit hellem Ton frei erklingen. Das ewig Heil wird uns zuteil, denn Jesus Christ

erstanden ist, welchs er lässt reichlich verkünden.

Er ist der Erst,

der stark und fest all unsre Feind hat bezwungen und durch den Tod als wahrer

Gott zum neuen Leben gedrungen, auch seiner Schar verheißen klar durch sein

rein Wort, zur Himmelspfort desgleichen Sieg zu erlangen.

Autorin: Davon

geht die Bewegung aus, dass einer, Christus, vom Tod zum Leben gelangt ist. Der

Apostel Paulus beschreibt das in der Bibel so:

Sprecher: „Nun

ist Christus aber vom Tod auferweckt worden, und zwar als Erster der

Verstorbenen. Denn durch einen Menschen kam der Tod in die Welt. So bringt auch

ein Mensch die Auferstehung der Toten. Weil wir mit Adam verbunden sind, müssen

wir alle sterben. Weil wir aber mit Christus verbunden sind, werden wir alle

lebendig gemacht.“ (1)

Musik 2: Mit Freuden zart (Orgel)

Mit Freuden zart zu

dieser Fahrt (für Orgel); Komposition/Interpret: Behrends,

Albert (Orgel); Erschienen ist der herrlich Tag. Osterlieder zum Singen, Hören

und Meditieren; WDR-Archiv-Nr.: 6145974105.001.001

Autorin:

Welche Wege mag Christine nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes gegangen sein?

Welche Wege ist einer gegangen, der ein solches zartes Osterlied schreibt?

Georg Vetter, von dem die Strophen stammen, gehörte zu den Böhmischen Brüdern,

einer reformatorischen Bewegung im 16. Jahrhundert. Er hat erlebt, wie seine

Glaubensgeschwister verfolgt werden, er hat Gewalt, Tod und Not gesehen. Sein

Lied, das trotz allem dem Leben zugewandt ist, hatte ursprünglich dreizehn

Strophen. Im Evangelischen Gesangbuch sind es heute nur drei. Vielleicht die

wichtigsten? Liest man die Anfangsbuchstaben der dreizehn Strophen

hintereinander, dann ergibt sich der lateinische Satz: „Mediator Christus“. Das

heißt: „Mittler ist Christus“. Daran hat sich Georg Vetter geklammert und

festgehalten, dass Leben, Lebendigsein, zum Leben Auferstehen allein von

Christus kommen. Die Melodie seines Liedes gehört ursprünglich zu einem

weltlichen Tanzlied. Dann wird sie im Genf des 16. Jahrhunderts einem Psalmlied

zugeordnet. Johannes Calvin hat dort angeregt, die Psalmen der Bibel in Reime

zu bringen und mit Melodien zu versehen, so dass die Gemeinden sie im

Gottesdienst singen können. So kommt die Melodie zum 138. Psalm, in dem es

heißt: „Du gibst meiner Seele große Kraft.“ Später, in abgewandelter Form, wird

sie dann zum Osterlied. Die Leichtigkeit, das Tänzerische, ist erhalten geblieben.

Musik 1: Choral, Strophe 3

Sprecher (overvoice): Singt Lob und Dank mit freiem Klang unserm Herrn zu

allen Zeiten und tut sein Ehr je mehr und mehr mit Wort und Tat weit

ausbreiten: so wird er uns aus Lieb und Gunst nach unserm Tod, frei aller Not,

zur ewgen Freude geleiten.

Autorin: Christine ist nach den Wegen, die

sie gehen musste, bei der dritten Strophe des Liedes mit ihrem Leben

angekommen. „Singt Lob und Dank mit freiem Klang unserm Herrn zu allen Zeiten.“

Der Schmerz und die Trauer um ihren Mann sind nicht einfach weg. Sie sind

vielmehr Teil ihres Lebens geworden, sie gehören zu ihr. An manchen Tagen spürt

sie sie mehr als an anderen. Aber sie ahnt, dass Gott behutsam, zart, in ihrer

Nähe geblieben ist, die ganze Zeit, in der sie ihn nicht hat spüren können. Es

ist eine Ostererfahrung für sie, dass sie sich mit dem, was sie erlebt hat,

jetzt dem Leben wieder zuwenden kann. Sie entdeckt neue Felder für sich. Sie

hat sich für das Tanzen begeistern lassen. Und sie schreibt leidenschaftlich

gern. „Ich habe zurückgefunden“, sagt sie leise, aber deutlich an diesem

Ostertag im November. „Auferstehung“ verstehe ich und denke an die Worte von

Ruth Rau, die ich auf einer Traueranzeige gelesen habe:

Musik 2:

Orgel

Sprecherin (overvoice):

Es geschieht etwas Wirkliches, aber es

geschieht unbegreiflich. Es geschieht etwas Wahres, aber es geschieht

rätselhaft. Es geschieht etwas Spürbares, aber es geschieht unfassbar. Es

geschieht etwas Endgültiges, aber es geschieht auf flüchtige Weise. Es

geschieht Leben, aber es geschieht durch den Tod. (2)

Musik 2:

Orgel noch mal freistehend (Schluss)

Quellen:

(1) Basis Bibel, S.

2662, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2021

(2) Auferstehung,

in: Ruth Rau, Im Licht der Wintersonne, S. 9, Butzon u. Bercker, Kelevlaer 2005

Redaktion:

Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth

  • 22.4.2023
  • Steffie Langenau
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