Autorin: Ein
Ostertag. Christine sitzt mir in unserem Lieblingsrestaurant gegenüber. Mehr
als zwei Jahre haben wir uns nicht mehr gesehen. Sie und ihr Mann waren in der
Kirchengemeinde sehr aktiv, von Kirchenvorstandsarbeit über
Konfirmandenunterricht bis zum Küsterdienst, man konnte sie überall gebrauchen,
und sie halfen gern. Dann plötzlich, an einem Sonntagmorgen im Sommer, stirbt
Christines Mann. Ohne jedes Vorzeichen. Plötzlicher Herztod. Und alles ist
anders. Wir können das alle nicht fassen. Als die Beerdigung hinter uns liegt,
sagt Christine: „Ich kann das nicht mehr, an Gott glauben. Da ist einfach
nichts mehr. Und den Gottesdienst – das ertrage ich nicht.“ Sie verschwindet
von der Bildfläche, zieht sich von allem zurück. Und auch Gespräche sind jetzt
nicht dran. Und dann, zwei Jahre später, an einem trüben Novembertag, sitzt sie
vor mir und sagt: „Ich habe zurückgefunden. Der Glaube, das ist nicht der von
früher. Aber ich habe wieder Kontakt zu Gott.“ Ein Ostertag im November. Ganz
vorsichtig tastet sich jemand zurück ins Leben, ganz zart beginnt das Vertrauen
zu Gott wieder zu wachsen.
Musik 1: Choral, 1. Strophe
Mit Freuden zart zu dieser Fahrt; Komposition: Bo?hmische Bru?der; Bearbeitung:
Stier, Alfred
Text: Vetter,
Georg; Interpreten: Windsbacher Knabenchor; Leitung: Beringer, Karl Friedrich;
Album: Lobsingt, ihr Völker alle. Große deutsche Kirchenlieder und Choräle;
Label: RONDEAU; LC: 06690
Autorin: Ein
Osterlied aus unserem Gesangbuch hat das eingefangen, dass Osterfreude sehr zart
sein kann. So wie ein Mensch, der aus der Erstarrung und aus tiefer Traurigkeit
herausfindet, ganz vorsichtige Schritte macht. Aber: Bewegung entsteht. „Mit
Freuden zart zu dieser Fahrt lasst uns zugleich fröhlich singen!“ Es geht auf
Fahrt, da löst sich etwas, wenn es Ostern wird, und selbst unsere Sehnsucht, an
den Festtagen nach draußen zu gehen, endlich, nach dem langen Winter, oder zu
verreisen, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, den Ort, den Standpunkt
zu wechseln – selbst diese Sehnsucht ist wie ein Ausdruck für den
Bewegungsdrang, der in der Osterfreude steckt. Die Ostergeschichten der Bibel
sind voller Bewegung: Die Frauen, die mit Jesus verbunden sind, bleiben nicht
trübsinnig zuhause, sondern sie machen sich auf den Weg zum Grab. Die Jünger
veranstalten sogar einen regelrechten Wettlauf dorthin. Sie wollen sehen, was
passiert ist. Und die beiden, die nach Emmaus gehen, auf dem Weg den Fremden
treffen, schließlich noch mit ihm essen, sie können gar nicht versonnen am
Tisch sitzen bleiben, als sie Christus erkennen. Sie müssen los, laufen den
ganzen Weg zurück, sie müssen es den anderen doch erzählen!
Musik 1:
Choral, 2. Strophe
Sprecher (overvoice): Mit Freuden zart zu dieser
Fahrt lasst uns zugleich fröhlich singen, beid, groß und klein, von Herzen rein
mit hellem Ton frei erklingen. Das ewig Heil wird uns zuteil, denn Jesus Christ
erstanden ist, welchs er lässt reichlich verkünden.
Er ist der Erst,
der stark und fest all unsre Feind hat bezwungen und durch den Tod als wahrer
Gott zum neuen Leben gedrungen, auch seiner Schar verheißen klar durch sein
rein Wort, zur Himmelspfort desgleichen Sieg zu erlangen.
Autorin: Davon
geht die Bewegung aus, dass einer, Christus, vom Tod zum Leben gelangt ist. Der
Apostel Paulus beschreibt das in der Bibel so:
Sprecher: „Nun
ist Christus aber vom Tod auferweckt worden, und zwar als Erster der
Verstorbenen. Denn durch einen Menschen kam der Tod in die Welt. So bringt auch
ein Mensch die Auferstehung der Toten. Weil wir mit Adam verbunden sind, müssen
wir alle sterben. Weil wir aber mit Christus verbunden sind, werden wir alle
lebendig gemacht.“ (1)
Musik 2: Mit Freuden zart (Orgel)
Mit Freuden zart zu
dieser Fahrt (für Orgel); Komposition/Interpret: Behrends,
Albert (Orgel); Erschienen ist der herrlich Tag. Osterlieder zum Singen, Hören
und Meditieren; WDR-Archiv-Nr.: 6145974105.001.001
Autorin:
Welche Wege mag Christine nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes gegangen sein?
Welche Wege ist einer gegangen, der ein solches zartes Osterlied schreibt?
Georg Vetter, von dem die Strophen stammen, gehörte zu den Böhmischen Brüdern,
einer reformatorischen Bewegung im 16. Jahrhundert. Er hat erlebt, wie seine
Glaubensgeschwister verfolgt werden, er hat Gewalt, Tod und Not gesehen. Sein
Lied, das trotz allem dem Leben zugewandt ist, hatte ursprünglich dreizehn
Strophen. Im Evangelischen Gesangbuch sind es heute nur drei. Vielleicht die
wichtigsten? Liest man die Anfangsbuchstaben der dreizehn Strophen
hintereinander, dann ergibt sich der lateinische Satz: „Mediator Christus“. Das
heißt: „Mittler ist Christus“. Daran hat sich Georg Vetter geklammert und
festgehalten, dass Leben, Lebendigsein, zum Leben Auferstehen allein von
Christus kommen. Die Melodie seines Liedes gehört ursprünglich zu einem
weltlichen Tanzlied. Dann wird sie im Genf des 16. Jahrhunderts einem Psalmlied
zugeordnet. Johannes Calvin hat dort angeregt, die Psalmen der Bibel in Reime
zu bringen und mit Melodien zu versehen, so dass die Gemeinden sie im
Gottesdienst singen können. So kommt die Melodie zum 138. Psalm, in dem es
heißt: „Du gibst meiner Seele große Kraft.“ Später, in abgewandelter Form, wird
sie dann zum Osterlied. Die Leichtigkeit, das Tänzerische, ist erhalten geblieben.
Musik 1: Choral, Strophe 3
Sprecher (overvoice): Singt Lob und Dank mit freiem Klang unserm Herrn zu
allen Zeiten und tut sein Ehr je mehr und mehr mit Wort und Tat weit
ausbreiten: so wird er uns aus Lieb und Gunst nach unserm Tod, frei aller Not,
zur ewgen Freude geleiten.
Autorin: Christine ist nach den Wegen, die
sie gehen musste, bei der dritten Strophe des Liedes mit ihrem Leben
angekommen. „Singt Lob und Dank mit freiem Klang unserm Herrn zu allen Zeiten.“
Der Schmerz und die Trauer um ihren Mann sind nicht einfach weg. Sie sind
vielmehr Teil ihres Lebens geworden, sie gehören zu ihr. An manchen Tagen spürt
sie sie mehr als an anderen. Aber sie ahnt, dass Gott behutsam, zart, in ihrer
Nähe geblieben ist, die ganze Zeit, in der sie ihn nicht hat spüren können. Es
ist eine Ostererfahrung für sie, dass sie sich mit dem, was sie erlebt hat,
jetzt dem Leben wieder zuwenden kann. Sie entdeckt neue Felder für sich. Sie
hat sich für das Tanzen begeistern lassen. Und sie schreibt leidenschaftlich
gern. „Ich habe zurückgefunden“, sagt sie leise, aber deutlich an diesem
Ostertag im November. „Auferstehung“ verstehe ich und denke an die Worte von
Ruth Rau, die ich auf einer Traueranzeige gelesen habe:
Musik 2:
Orgel
Sprecherin (overvoice):
Es geschieht etwas Wirkliches, aber es
geschieht unbegreiflich. Es geschieht etwas Wahres, aber es geschieht
rätselhaft. Es geschieht etwas Spürbares, aber es geschieht unfassbar. Es
geschieht etwas Endgültiges, aber es geschieht auf flüchtige Weise. Es
geschieht Leben, aber es geschieht durch den Tod. (2)
Musik 2:
Orgel noch mal freistehend (Schluss)
Quellen:
(1) Basis Bibel, S.
2662, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2021
(2) Auferstehung,
in: Ruth Rau, Im Licht der Wintersonne, S. 9, Butzon u. Bercker, Kelevlaer 2005
Redaktion:
Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth