Autor: Guten Morgen,
so hell ist das Grün in der Natur nur jetzt im Jahr. Neben
den dicken Stämmen strecken die Buschwindröschen zwischen den welken Blättern
vom Vorjahr die Köpfe vor; am Wegrand der Bärlauch, da wo es feucht ist und der
Waldmeister unter den Haselsträuchern.
Es ist jetzt viel los auf dem Waldboden, da, wo die
Frühjahrsonne noch durchkann durch die noch fast kahlen Baumkronen, und wo die
Zweige der Buchen eben erst anfangen, vorsichtig erste Blättchen rauszuschieben.
Noch ganz dünn sind die, fast wie auf Probe und so
hellgrün, wie sonst nie mehr Jahr. Maigrün. Alles ist so voller Kraft und
zugleich noch ganz zart, verletzlich und voller Zukunft zugleich. Bald schon,
da wird das Grün mit jedem Tag satter und das Blätterdach hat sich bei jedem
Gang in den Wald ein bisschen mehr geschlossen – wie ein lebendiger grüner Dom.
Auch das ist großartig, aber ich mag diese hellgrüne Zwischenzeit ganz
besonders.
Im Judentum gibt es einen kleinen Feiertag, auf den
bin ich wirklich neidisch, weil er genau dieser Übergangszeit gilt – im
Mittelmeerklima des Landes Israel liegt sie natürlich früher.
Das Fest heißt TubiSchevat. Mit ihm preisen die
Gläubigen Gott, den Schöpfer der Bäume und seiner Früchte. Das Fest gilt als das
„Neujahr der Bäume“.
Klar, wenn man drüber nachdenkt, haben auch die Bäume ihren
Jahresanfang und Jahresrhythmus. Es ist nicht unser Rhythmus, aber die Bäume gehören
uns auch nicht.
Wie es in einem Psalm der Bibel heißt.
Sprecherin: „Die Bäume Gottes, des Herrn, stehen voll Saft,
die Zedern des Libanon, die
er gepflanzt hat.
Dort nisten die Vögel, und
die Störche wohnen in den Wipfeln.“
(Die Bibel, Luther 2017, Psalm 104,16f)
Autor: Das TubiSchevat-Fest geht zurück
auf ein Gebot der jüdischen Torah. Es steht ganz nah beim Gebot der Nächsten-
und Feindesliebe und es besagt: Obstbäume, die du selbst gepflanzt hast, lass für
drei Jahre in Ruhe. Beschneide sie nicht und ernte die Früchte nicht, bevor der
Baum seine ersten Jahre für sich hatte.
Der Wissensstand heutigen Obstbaus ist das wohl nicht.
Aber der Gedanke dahinter, den könnten wir endlich anfangen zu lernen:
Die Geschöpfe in ihrem Rhythmus und ihrem ganz eigenen
Recht wahrnehmen, auch wenn das nicht mein, nicht unser Rhythmus ist. Sie nicht
verzwecken, sie mehr sein lassen als nützlich oder gleichgültig.
Ein jüdisches Gebet sagt es so:
Sprecherin: „Möge unser Blatt nicht welken
und alles, was wir tun gelingen. Mögen wir uns alles dessen erbarmen, was gesät
ist, was wächst und ins Leben strebt. Möge dieses Erbarmen weit reichen und sich
bis in alle vier Enden der Erde erstrecken.“ (1)
Autor: Einen ersprießlichen Tag im
eigenen Rhythmus und mit großem Herz für den Rhythmus anderer Geschöpfe, den wünsche
ich Ihnen.
Ihr Jan-Dirk Döhling aus Bielefeld.
Quellen:
(1) Dalia Marx, Einstimmung auf den Monat Schwat, in:
Bibel heute 223 (2023), S. 29.
Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze
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