Den Schreibtisch des Lebens aufräumen

Kirche in WDR3 | 05.05.2022 | 00:00 Uhr

Guten

Morgen.

Mein

Computer läuft jetzt wieder schneller. Ich habe ihn endlich von Datenmüll

befreit, unnötige Dateien gelöscht, Doppelungen aussortiert. Obwohl er schon

ein paar Jahre alt ist, fühlt er sich nun nach dem Aufräumen an wie neu.

Es

war längst überfällig, aber nie der richtige Zeitpunkt.

Und

irgendwie erinnert mich das an andere Situationen, in denen ich auch längst

Überfälliges erledigen sollte. Zu Hause mal wieder ausmisten, den Schreibtisch

aufräumen, Platz schaffen. Platz für Neues, Anderes. Vielleicht symbolisch auch

für das, was auch in meinem eigenen Leben neu geordnet und sortiert werden

muss.

Sprecherin:

"Sie

müssen den Schreibtisch des Lebens aufräumen, ehe es zu spät ist" …

Autorin:

rät der Onkologe

Dr. Eddé seinem Patienten Benjamin, einem Mann um die 40, der bald sterben

muss. Vielleicht bleibt ihm noch ein Jahr, vielleicht weniger.

In

dem sehr berührenden französischen Kinofilm „In Liebe lassen“ wird zwar vom

Sterben erzählt und dennoch auch das Leben gefeiert, so absurd das klingt.

„Den

Schreibtisch des Lebens aufräumen“ – das steht in den einfühlsamen Gesprächen

zwischen Arzt und Patient in diesem Film für all das, was noch ungeklärt ist.

Für den Gedanken, sich zu versöhnen mit dem, was offen geblieben ist im Leben

und offenbleiben darf. Dafür, die verbleibende Zeit noch zu nutzen: um das zu

tun, was ich immer schon noch fragen, wissen, sagen und erklären wollte. Mir

selbst und anderen gegenüber.

So

schreibt Benjamin einen Brief an seine Schauspielschülerinnen und -schüler, die

er nun nicht mehr unterrichten kann.

Sprecherin:

„Lernt

weiter, sag ich Euch, seid nicht zu selbstsicher, probiert euch aus, wagt

etwas, riskiert etwas, irrt euch, habt nie Angst, Euch lächerlich zu machen. (…)

Habt Vertrauen in Eure Jugend und in Eure Naivität. Habt Träume und folgt

ihnen.“ (Trailer, selbst transkribiert)

Autorin: Mich erinnern Benjamins

Worte an eine Rede aus der Bibel. Kurz vor seinem Tod hat da Mose dem Volk

Israel Mut zugesprochen:

Sprecherin:

„Seid

stark und mutig und fürchtet euch nicht! Habt keine Angst (…)

Denn

der HERR, dein Gott zieht mit dir. Er lässt dich weder fallen, noch verlässt er

dich.“

(5.

Buch Mose 31,6, Basisbibel, Ausgabe 2021)

Autorin:

Mose ist

alt geworden und führt das Volk an. Mit seiner Rede will er seine

Nachfolgerinnen und Nachfolger stärken und ermutigen. Ihnen den Weg

weisen.

So

wie Benjamin im Film seine bittere Erkenntnis an die nächste Generation

weitergibt: Verpasst nicht so viel im Leben. Lebt euer Leben. Anders als ich.

Wiederholt nicht meine Fehler.

Mich

hat dieser Film sehr berührt und nachdenklich gestimmt.

Und

ich habe mich gefragt: Was liegt eigentlich auf meinem Schreibtisch des Lebens,

ohne dass ich es beachte? Wo müsste ich längst Dinge ansprechen, klären,

regeln, wagen oder sie einfach sein lassen, mich mit ihnen versöhnen? Und wann

fange ich damit an?

Die

Botschaft des Films hat mich zumindest ermahnt, damit nicht bis zum Schluss zu

warten.

Und

mein Computer erinnert mich jetzt daran, immer wenn ich ihn hochfahre…

So

endet der Film mit nur ein paar vermeintlich schlichten, aber doch sehr

bedeutenden,

oft

schwer auszusprechenden Worten:

Sprecherin:

„Danke,

verzeih mir, ich verzeihe dir, leb wohl!

Autorin:

Wie schön,

wenn das gelingen könnte.

Das

wünscht Pfarrerin Christiane Neufang aus Köln.

Redaktion: Landespfarrerin Petra

Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/58042_WDR3520220505Neufang.mp3

  • 5.5.2022
  • Christiane Neufang
  • © CCO Pixabay
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