Tennis im Himmel

Kirche in WDR2 | 21.03.2023 | 00:00 Uhr

Natürlich hat sie die Nummer im Handy gespeichert. Als das Handy

klingelt, taucht sie Im Display auf – die Nummer vom Altenheim. Wie immer ist

sie elektrifiziert. In letzter Zeit rufen sie häufiger an.

Die Pflegerin berichtet: „Ihr Vater hat sich total verändert. Er

hat Halluzinationen und ist sehr unruhig. Sollen wir ihn ins Krankenhaus

bringen?“

Es ist nicht weit zum Heim, deshalb macht sie sich an diesem

Sonntag zu Fuß auf den Weg. Vorbei an der Kirche und der Kita. Im Garten steht

ein verwaistes Bobbycar. Es regnet. Es ist ein bisschen wie eine Zeitreise. Hier

hat sie geheiratet. Hier haben ihre Kinder gespielt, als die Welt noch in

Ordnung war. Sind getauft und konfirmiert worden. Jetzt lebt ihr Vater im

evangelischen Altenheim neben der Kita. Quasi alle wichtigen Lebensabschnitte

am Straßenrand. Jetzt kommt ein neuer?

Ihr Vater erkennt sie – immerhin. Doch gedanklich ist er weit weg.

„Wie weit ist es zum Friedhof“, fragt er. Zieht an imaginären Angelschnüren einen

großen Fisch an Land. Dann spielt er Tennis, rudert mit dem rechten Arm. Sie

ist froh, dass er nicht an die Katastrophen in seinem Leben denkt. An den Tod

seiner Mutter, als er noch ein Kind war. An den Krieg, als er Flakhelfer

gewesen ist. Oder den plötzlichen Tod seiner Frau, ihrer Mutter, vor ein paar

Jahren, der ihn so durcheinander gebracht hat.

Sie

versucht, anzuknüpfen. Wann hast du eigentlich Tennis gelernt? Ein Schulfreund,

Bernie Graf Soundso, hat es ihm beigebracht. Auf dem Platz von dessen Eltern in

Schlesien. Das längst Vergangene ist noch alles da. Und sie erfährt erstmals,

dass er lieber Einzel als Doppel gespielt hat. Er fragt: „Sollen wir jetzt noch

ein paar Schläge machen?“ „Ja, das wäre sehr schön“, sagt sie. „Aber es regnet.

Morgen. Versprochen.“

Psalm 23 fällt ihr ein: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich

auf einer grünen Aue … . Mehr vom dem Text kann sie nicht auswendig. Aber

immerhin.

Dreht

sie durch, weil er jetzt stirbt? Auf dem Heimweg kullern die Tränen. Aber

weshalb? Er hat ein gutes Leben gehabt, privat wie beruflich. Jetzt ist es an

der Zeit, ihn gehen zu lassen. Und es klingt, als will er das auch. Ins

Krankenhaus möchte er auf keinen Fall. Und so soll es sein. Ob es im Himmel

Tennisplätze gibt? Sie weiß es nicht, aber sie freut sich jetzt schon auf das Einzel

– das Spiel mit ihm.

Redaktion: Pastorin

Sabine Steinwender-Schnitzius

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  • 21.3.2023
  • Uta Garbisch
  • © CCO Pixabay
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