Natürlich hat sie die Nummer im Handy gespeichert. Als das Handy
klingelt, taucht sie Im Display auf – die Nummer vom Altenheim. Wie immer ist
sie elektrifiziert. In letzter Zeit rufen sie häufiger an.
Die Pflegerin berichtet: „Ihr Vater hat sich total verändert. Er
hat Halluzinationen und ist sehr unruhig. Sollen wir ihn ins Krankenhaus
bringen?“
Es ist nicht weit zum Heim, deshalb macht sie sich an diesem
Sonntag zu Fuß auf den Weg. Vorbei an der Kirche und der Kita. Im Garten steht
ein verwaistes Bobbycar. Es regnet. Es ist ein bisschen wie eine Zeitreise. Hier
hat sie geheiratet. Hier haben ihre Kinder gespielt, als die Welt noch in
Ordnung war. Sind getauft und konfirmiert worden. Jetzt lebt ihr Vater im
evangelischen Altenheim neben der Kita. Quasi alle wichtigen Lebensabschnitte
am Straßenrand. Jetzt kommt ein neuer?
Ihr Vater erkennt sie – immerhin. Doch gedanklich ist er weit weg.
„Wie weit ist es zum Friedhof“, fragt er. Zieht an imaginären Angelschnüren einen
großen Fisch an Land. Dann spielt er Tennis, rudert mit dem rechten Arm. Sie
ist froh, dass er nicht an die Katastrophen in seinem Leben denkt. An den Tod
seiner Mutter, als er noch ein Kind war. An den Krieg, als er Flakhelfer
gewesen ist. Oder den plötzlichen Tod seiner Frau, ihrer Mutter, vor ein paar
Jahren, der ihn so durcheinander gebracht hat.
Sie
versucht, anzuknüpfen. Wann hast du eigentlich Tennis gelernt? Ein Schulfreund,
Bernie Graf Soundso, hat es ihm beigebracht. Auf dem Platz von dessen Eltern in
Schlesien. Das längst Vergangene ist noch alles da. Und sie erfährt erstmals,
dass er lieber Einzel als Doppel gespielt hat. Er fragt: „Sollen wir jetzt noch
ein paar Schläge machen?“ „Ja, das wäre sehr schön“, sagt sie. „Aber es regnet.
Morgen. Versprochen.“
Psalm 23 fällt ihr ein: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich
auf einer grünen Aue … . Mehr vom dem Text kann sie nicht auswendig. Aber
immerhin.
Dreht
sie durch, weil er jetzt stirbt? Auf dem Heimweg kullern die Tränen. Aber
weshalb? Er hat ein gutes Leben gehabt, privat wie beruflich. Jetzt ist es an
der Zeit, ihn gehen zu lassen. Und es klingt, als will er das auch. Ins
Krankenhaus möchte er auf keinen Fall. Und so soll es sein. Ob es im Himmel
Tennisplätze gibt? Sie weiß es nicht, aber sie freut sich jetzt schon auf das Einzel
– das Spiel mit ihm.
Redaktion: Pastorin
Sabine Steinwender-Schnitzius
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